Paris/London - Die zunehmende Attentatswelle im Irak mit mehr als hundert Todesopfern am vergangenen Wochenende beschäftigt am Montag europäische Pressekommentatoren. Demokratische Wahlen und Razzien hätten die Lage keineswegs verbessert, Einheimische stünden zunehmend für Anschläge bereit, stellen die Kommentatoren fest.

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Weder die Parlamentswahl (von Ende Jänner) noch eine gewählte irakische Regierung und ein irakischer Staatschef haben etwas geändert. Dass Vertreter aller drei Volksgruppen, also Schiiten, Kurden und Sunniten, eine Verfassung ausarbeiten, hilft nicht. Die Ausbildung neuer Sicherheitskräfte - Fehlanzeige. (...) 15 Selbstmordattentäter in nur 48 Stunden - dies zeigt, dass längst nicht nur ausländische Islamisten dafür bereit stehen. Von Anfang an waren die meisten Untergrundkämpfer Iraker: In Kenntnis der Unterlegenheit seiner Armee hatte Saddam Hussein schon vor Kriegsbeginn Untergrundkämpfer ausbilden lassen. Diese werden von irakischen Offizieren geführt. Der Fernsehsender CNN interviewte einen dieser Rebellenführer, ein irakischer Nationalist, der sagt: 'Es wird so lange nicht verhandelt, bis der letzte US-Soldat das Land verlassen hat'."

"Libération" (Paris):

"Trotz des amerikanischen militärischen Engagements bleibt die tatsächliche Kontrolle der Region um Bagdad so lückenhaft wie vor den Wahlen und vor der Regierungsbildung. Und die Ausbildung einer irakischen Polizei und des Militärs, die in der Lage sein sollten, der Herausforderung der Terroristen die Stirn zu bieten, ist weiterhin in einem Embryonalstadium. Der Tag, an dem die irakischen Institutionen ohne die Hilfe ausländischer Soldaten autonom bestehen könnten, scheint immer noch weit entfernt. Und doch kentert das irakische Schiff trotz der folgenschweren Attentate nicht. Die US-Boys müssen allerdings weiterhin auf dieser Galeere rudern."

"The Daily Telegraph" (London):

"Iraks Höllenqualen können mit einem Wort zusammengefasst werden: Gesetzlosigkeit. Gesetzlosigkeit beschreibt nicht einfach nur die Unordnung auf den Straßen, es beinhaltet auch den Mangel an gemeingültigen Regeln. Der moderne Irak ist (...) in einer Verfassung, in der Banden und sektiererische Milizen ihren Willen durchsetzen, das Eigentum nicht sicher ist und Bürger keine Garantie auf Wiedergutmachung haben, wenn ihnen Unrecht angetan wird. Solange das Gesetz nicht als oberste Gewalt etabliert ist, können sich weder Demokratie noch Menschenrechte behaupten. Deshalb ist der bevorstehende Prozess gegen Saddam Hussein von mehr als symbolischer Bedeutung. Indem es den früheren Tyrannen für dessen Verbrechen zur Rechenschaft zieht, wird das irakische Volk durchsetzen (...), dass niemand über dem Gesetz steht." (APA/dpa)