Jörg Huffschmid ist Professor für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik an der Universität Bremen.

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Spätestens in den 1980er Jahren vollzogen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank einen Paradigmenwechsel. Für den deutschen Wissenschafter Jörg Huffschmid eine neoliberale Gegenreform.

Die ursprünglichen Aufgaben von Kapitalverkehrskontrolle und Regelung der Wechselkurse wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gunsten eines Regulierungssystems des Nordens für die "Dritte Welt" geändert: finanzielle Destabilisierung, Privatisierungen, enorme weltweite soziale Polarisierung, aber auch Gegenbewegungen resultieren daraus.

Daran anknüpfend spricht Huffschmid im Interview mit Christa Hager über wirtschaftspolitische Pfade, alte und neue Kräfteverhältnisse und die Möglichkeit der Veränderung von multilateraler Entwicklungszusammenarbeit.

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derStandard.at: Der britische Tony Blair hat angekündigt, den Terror an der Wurzel zu packen. Wie kann ein solches Anpacken aussehen?

Huffschmid: Der Terrorismus ist nicht unmittelbar Auswirkung der Weltunordnung, auch wenn mit der Destabilisierung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Welt während der vergangenen 20 Jahren der Nährboden dafür geschaffen wurde, auf dem Terrorismus gedeihen kann. Will man ihn wirklich an der Wurzel packen, ihm den Nährboden wegnehmen, muss eine gerechtere und kooperativere Weltwirtschaftsordnung hergestellt werden.

derStandard.at: Wie könnte der Weg dafür aussehen?

Huffschmid: Innerhalb der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse ist es aussichtslos. Es hängt von uns ab, diese Kräfteverhältnisse zu ändern. Es gibt keinen logischen Grund zu sagen, dass etwas anderes nie funktionieren kann. Sicherlich werden sich immer diejenigen wehren, die von der jetzigen Weltordnung profitieren. Die Frage ist daher vielmehr, ob wir so viel Kraft auf die Beine bringen, um zu sagen: "Nein, so nicht, es wird anders gemacht". Dass dies viele nicht gerne hören und dagegen alles unternehmen, ist logisch. Aber dass sie wirklich genug unternehmen können, ist nicht logisch, sondern das muss man sehen.

derStandard.at: Kann Entwicklungshilfe von geostrategischen Interessen entkoppelt werden?

Huffschmid: Ich bin davon überzeugt, dass man mit mehr Transparenz und Kontrolle, ohne Einfluss der Geberländer, die Entwicklungshilfe besser organisieren könnte. Die G8 sowie andere große Industrieländer müssten sich darauf verständigen, Entwicklungshilfe in Fonds einzuzahlen, die nicht von ihnen gelenkt werden. Die Empfängerländer könnten gemeinsam mit der UNO Richtlinien ausarbeitet, nach deren Kriterien die Hilfe dann zugemessen und verteilt würde. Ich rede in diesem Zusammenhang nicht von Schuldenerlässen, denn die müssen sein. Entwicklungshilfe muss nicht nur aufgestockt, sondern auch in einer anderen Art und Weise vergeben werden.

derStandard.at: Ist es nicht eine zynische Belohnung, genau denjenigen Ländern Schuldenerlass zu gewähren, die bereits eine vierjährige "Probezeit" hinter haben?

Huffschmid: Sicherlich. Doch noch zynischer wäre es, ihnen diese vier Jahre zuzumuten, und ihnen die Schulden dann trotzdem nicht zu erlassen. Und es ist ein Fortschritt, wenn die Schulden samt Zinsenzinsen nicht mehr weiter laufen. Andrerseits ist dieses Vorgehen natürlich im Interesse der Erlassländer. Sie wollen gehorsame und zugängliche Länder vorfinden, die zahlungskräftiger sind. Schuldenerlass ist natürlich kein Schritt, um diesen Ländern auf dem Weg in eine eigenständige Entwicklung zu helfen. Sie sind nämlich gleichzeitig auf einen wirtschaftspolitischen Pfad getrimmt worden, der keine Entwicklung gewährleistet, sondern eher verhindert.

derStandard.at: Besonders in Afrika gibt es Befürworter für ein Ende der Entwicklungshilfe, da das meiste Geld in den Kanälen korrupter Eliten versickern würde. Wäre ein solcher Stopp sinnvoll?

Huffschmid: An dieser Kritik ist eine Menge dran, denn aus Erfahrung weiß man genau, das meiste Geld fließt. Aber ohne Entwicklungshilfe wäre es viel schwieriger und langwieriger, bis die ärmeren Länder Licht am Ende des Tunnels sehen würden. Deshalb muss man versuchen, die Entwicklungshilfe so zu gestalten, dass sie für die Menschen eine Hilfe ist, sich selber eigenständig zu entwickeln.

Dies ist leichter gesagt, als getan. Denn dies würde dezentrales Vorgehen erfordern, indem man kleinere Projekte direkt in den Dörfern macht. Und dass seitens der UNO und nicht vom IWF oder den Geberländern mehr Gremien und Diskussionsforen eingerichtet würden, um zu erörtern, was für diese Länder wirklich gut ist. Insofern muss Geld her. Andrerseits sollte es auch nicht bedingungslos ausbezahlt werden, sondern müsste in demokratisch legitimierte Organe fließen, mit bindenden Kriterien. Die UNO wäre dafür gut geeignet, besonders die UNCTAD oder der Wirtschafts- und Sozialausschuss.

derStandard.at: Können die NGOs dazu beitragen, Entwicklungshilfe effektiver zu gestalten?

Huffschmid: Es gibt Schritte dazu, selbst die Weltbank konsultiert und bezieht mittlerweile auch NGOs in den betroffenen Ländern mit ein. Ich warne jedoch davor, dies als Patentrezept anzusehen. Denn wenn man erstmal auf den Trichter gekommen ist, dass man NGOs braucht, dann gründet man eben NGOs und führt sie als "Ownership" und "Empowerment" Institutionen vor. Daher ist es sinnvoll, genau zu schauen, ob die NGOs vor Ort einfach nur Geschäfte machen oder von der Regierung abhängen, obwohl sie "N" davor haben. Wenn dies funktioniert, ist es sicher gut und wichtig, dass die NGOs in diese Prozesse miteinbezogen werden.

derStandard.at: In Afrika gesellt sich mit China ein neuer Akteur auf das Entwicklungspolitische Feld. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu beobachten, wie die chinesischen Aktivitäten seitens des IWF oder der Weltbank hinsichtlich Arbeitsrechtlicher- als auch Umweltstandards kritisiert werden. Agieren denn der IWF oder die Weltbank anders?

Huffschmid: Der IWF sicherlich gar nicht, die Weltbank ein bisschen. Es ist aber auch schwer zu erkennen, wo der IWF nur die Interessen der Umweltschutzindustrie und wo er tatsächlich Interessen verfolgt, die sich diese Länder auch zu eigen machen können. so steht ein unabhängiger Evaluierungsbericht all den politischen, sozialen und ökologischen Absichtserklärungen als auch den Bestimmungen, die mit Weltbank und IWF verbunden sind, sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber - auch hinsichtlich des Erfolgs und der Durchschlagskraft dieser Standards.