Nach allem, was man von seinen Nachbarn weiß, war Shehzad Tanweer ein intelligenter, höflicher junger Mann, der stundenlang über Büchern hockte. 22 Jahre alt, er studierte in Leeds Sportwissenschaften. Ein grobkörniges Farbfoto zeigt einen harmlosen Bubikopf mit akkurat geschnittenem Haar und blütenweißem Pulloverkragen, einen netten Burschen, der aussieht, als könne er keiner Fliege ein Haar krümmen.

Regelmäßig ging Shehzad in die Moschee, oft stand er schon um halb fünf, zum Morgengebet, auf. Genauso eifrig spielte er Cricket, die englischste aller Sportarten. Am vergangenen Mittwoch sahen ihn Freunde zum letzten Mal den Cricketball werfen. Bis zum Anbruch der Dunkelheit, heißt es, habe er abends auf einer Wiese gespielt.

Am nächsten Morgen stieg Tanweer erst in ein Auto, dann in einen Pendlerzug, schließlich in einen U-Bahn-Wagon. Er war einer der vier Selbstmordattentäter, die den Terror am 7. Juli nach London brachten. Kein Ausländer, sondern ein Brite, "home-grown", ein heimisches Gewächs, wie seine schockierten Landsleute sagen. Über die Fernsehbildschirme flimmert seine Geburtsurkunde, Nummer BT 331207:

Am 15. Dezember 1982 erblickte Shehzad Tanweer im Krankenhaus St. Luke's in Bradford das Licht der Welt.

In Bradford wuchs er auch auf, einer Stadt im nordenglischen Industrierevier. Nach Bradford hatte es vor dreißig Jahren auch Mohammed Mumtaz Tanweer gezogen, einen Muslim aus Pakistan. Der uralte Einwanderertraum von Wohlstand und Glück, für Shehzads Vater ging er in Erfüllung. Der fleißige Arbeiter sparte eisern, zog später nach Leeds, in den bunt gemischten südlichen Stadtteil Beeston, wo er sich ein Doppelhaus kaufte. Heute stehen dort, in der Einfahrt der Colwyn Road 51, zwei schicke Limousinen Marke Mercedes, die eine silberfarben, die andere rot.

In Beeston betreiben die Tanweers einen florierenden Fisch- und Imbissladen, "South Leeds Fisheries". Am besten verkaufen sich dort Fish & Chips, Kabeljau oder auch Schellfisch mit goldgelben Fritten, obendrauf ein paar Tropfen Essig - die englischste aller Speisen. Auch Shehzad Tanweer stand dort häufig hinter den Pfannen.

Als "sweet guy", einen süßen Kerl, beschreibt ihn sein Freund Mohammed Riaz, "der beste Kumpel, den man sich wünschen konnte". Humorvoll sei er gewesen, richtig witzig, ein heller Kopf. Er las viel im Koran, rührte nie Alkohol an und fluchte nicht.

Natürlich sei er nach Pakistan gereist, doch mit islamischen Fanatikern, sagt Riaz, habe Shehzad nie etwas am Hut gehabt. Im Gegenteil, oft habe er sich gegen den Extremismus verwahrt. Dass so einer sich in die U-Bahn setze und eine Bombe zünde - "einfach unvorstellbar". (Frank Herrmann, DER STANDARD, Print, 14.7.2005)