Die jüngsten Umfragen deuten auf geradezu dramatische Änderungen in der deutschen Parteienlandschaft hin. Das so genannte Linksbündnis der von Oskar Lafontaine mitbegründeten "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) und der postkommunistischen PDS hat innerhalb weniger Wochen elf Prozent in der Wählergunst erreicht. Damit überflügelt die neue Linkspartei auf Anhieb klar die mit der SPD mitregierenden Grünen und den künftigen Koalitionspartner der CDU, die Freien Demokraten (FDP). Diese "rückwärts gewandte, linkspopulistische Partei, die vor Fremdenfeindlichkeit nicht zurückschreckt" (so wörtlich Bundeskanzler Schröder) würde bei Wahlen sogar 30 Prozent im Osten bekommen.

Dass an der Spitze dieser Gruppierung mit Lafontaine ein ehemaliger SPD- Vorsitzender steht, der Hand in Hand mit zwielichtigen Figuren aus der ehemaligen DDR gegen seine ehemaligen Genossen wortgewaltig und hemmungslos auftritt, verleiht der Vorwahlsituation in Deutschland eine besondere Brisanz. Nach einer über sechsjährigen politischen Abstinenz hat der 61-jährige Saarländer "das Kostüm eines roten Panthers mit braunen Pünktchen übergestreift" (Der Spiegel) und sendet mit Sprüchen etwa über Fremdarbeiter, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnähmen, unmissverständliche Signale an den rechten Stammtisch. Die neue Bewegung gewinnt vor allem viele Arbeitslose (4,7 Millionen im Juni 2005), Rentner und auch jene Frustrierten für sich, die zum Teil zum Wählerreservoir der rechtsradikalen NPD gehörten.

Die Gefahr von links bedroht aber vor allem Schröders SPD, die bereits vorher bei den Umfragen deutlich unter 30 Prozent rutschte, während die CDU bei 43 Prozent liegt. Deshalb muss die von Krisen geschüttelte Regierungspartei im Wahlmanifest zum Zweifrontenkampf gegen die "schwarze Republik" und gegen die "linken Demagogen" aufrufen. Mit beißendem Sarkasmus stellte aber der Göttinger Politologe Professor Franz Walter fest: "Vom Heroen Schröder bleibt nichts (...) Die SPD ist personell, organisatorisch und programmatisch am Ende." Es geht aber nicht nur um das Schicksal der SPD, sondern auch um das ganze deutsche Parteiengefüge und um die Zukunft der größten Volkswirtschaft Europas. Wenn man bedenkt, dass die Arbeitslosenquote mit 9,5 Prozent zweimal so hoch ist wie die Österreichs oder Großbritanniens und auch die Wachstumsrate mit 1,2 Prozent wesentlich niedriger ist als in diesen beiden Ländern, überrascht es nicht, dass nur noch die Hälfte der befragten Deutschen der Meinung ist, die soziale Marktwirtschaft habe sich bewährt.

Bei der für den 18. September avisierten Bundestagswahl könnten sich unerwartete Verschiebungen zu einem Fünf-Parteien-System ergeben. Selbst eine große Koalition zwischen CDU-CSU und SPD kann als Option nicht mehr gänzlich ausgeschlossen werden.

Ende Juni warnten in einem einzigartigen Appell mehr als 200 deutsche Wirtschaftswissenschafter die Politiker vor falschen Versprechungen im Wahlkampf. Deutschland befinde sich in einer "tiefen strukturellen Krise, die drastische und schmerzhafte Reformen verlangt".

Weder die klassenkämpferische SPD-Rhetorik noch das verwaschene Wahlprogramm der Unionsparteien mit ihrer nicht gerade Kompetenz und Autorität ausstrahlenden Kanzlerkandidatin verspricht jene chirurgischen Eingriffe, die die Überwindung der Krise auf lange Sicht ermöglichen könnten. (DER STANDARD, Print, 14.7.2005)