Drei Jahre hat es gedauert, bis sich das Interesse des Publikums und der professionellen Beobachter der Salzburger Festspiele seit Langem wieder ausschließlich auf jenen Bereich konzentrieren kann, für den sie eigentlich stattfinden, nämlich auf ihr Programm. Vorbei sind die überflüssigen Statements nebst nicht weniger überflüssigen Gegendarstellungen, Krachs mit Künstlern und Journalisten und sonstigen Erregungen, deren ergiebiger publizistischer Niederschlag während der Ära Mortier die künstlerischen Veranstaltungen beinah zur Nebensache werden ließen. Vorbei sind auch die Erregungen über diverse personelle Entscheidungen des Festspielkuratoriums.

So bieten die geschaffenen Fakten und die durch diese eingekehrte Ruhe erst in Peter Ruzickas vorletztem Programmjahr die Voraussetzung, dass die häufig und hämisch kommentierte Gelassenheit des amtierenden Intendanten erstmals auch die Aura des gesamten Festivals prägt.

Verstärkt wird diese sich wohltuend anbahnende Konzentration auf die Veranstaltungen durch eine Entscheidung, deren hoffentlich beispielgebende Tragweite bisher noch viel zu wenig gewürdigt wurde. Gemeint ist der heuer erstmalige Verzicht auf die Eröffnungsrede.

Der Grund dafür mag in einer Kontroverse liegen, die im Vorjahr um die Person des Eröffnungsredners entbrannte. Wie erinnerlich, war an den französischen Philosophen André Glucksmann schon eine diesbezügliche Einladung ergangen, als Gabi Burgstaller, als Landeshauptfrau frisch im Amt, auf das ihr zustehende Recht, den Redner zu nominieren, pochte, und Glucksmann gegen István Szábo austauschte.

Egal, was letztlich den Ausschlag zu diesem Verzicht gegeben haben mag: Er wirkt wohltätig befreiend. Und dies aus mehreren Gründen: Zum einen zählt allein schon das Defilee der unvermeidlichen Eröffnungsrednern aus dem politischen Bereich zu den schwerst erträglichen und, weil tief provinziell, überflüssigen Kunstritualen überhaupt.

Ein solches Zeremoniell dann überdies noch durch die Ausführungen eines angeheuerten Schöngeists zu verlängern, ist nichts weiter als aus Renommiersucht generierter veranstalterischer Sadomasochismus.

Zumal es sich bei diesen so genannten Reden ja keineswegs um solche handelt. Werden sie doch mehr oder weniger stockend von zuvor zusammengestoppelten Manuskripten abgelesen. Ein gelegentlicher Blick ins Publikum macht die Sache nicht lebendiger.

Das Ablesen eines Manuskriptes wirkt unabhängig von dessen Inhalt unspontan, unnatürlich. Die einfache Tatsache, dass Reden etwas anderes ist als Lesen, wurde und wird bei allen diesen offiziellen Anlässen peinigend evident.

Blätterkonvolut

Im Unterschied zu den rhetorisch meist erstaunlich brillanten deutschen Politikern, klammert sich fast jeder inneralpine Redner wie ein Ertrinkender an sein raschelndes Blätterkonvolut. Und die rhetorischen Dekorateure, die dann zur eigentlichen Eröffnungsrede ausholen, stellen diesbezüglich leider keine Ausnahme dar.

Dem allen könnte man nun freilich entgegnen, dass es bei einer Rede (oder, genauer gesagt, bei einer heruntergelesenen Schreibe) in erster Linie wohl auf den Inhalt und nicht auf die Form seiner Präsentation ankommt. Dieser Einwand mag für einen Hörsaal stimmen, aber nicht für ein Kunstfestival, das noch immer - nicht nur im Hinblick auf seine Eintrittspreise - zu den höchst gehandelten der Welt zählt.

Nicht ganz ungefährlich liest sich nun wohl auch die Alternative, die man sich zur Gestaltung des Eröffnungsaktes ausgedacht hat. Es ist nämlich geplant, die Position der Eröffnungsrede durch Ausschnitte aus den diversen für dieses Jahr vorgesehenen Produktionen zu ersetzen.

Hoffentlich ist man sich des Peinlichkeitspotenzials, das so ein Tuttifrutti aus Oper, Konzert und Schauspiel in sich birgt, auch voll bewusst - und findet irgendwann doch einmal bahnbrechend zur glänzendsten und am besten überzeugenden Form eines Festspielbeginns: nämlich ganz ohne Eröffnungsakt. (Peter Vujica/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 7. 2005)