Young
Im 1. Teil zeigen Martin Nachbar, Ann Liv Young, Mala Kline und die Cie. 7273 verdeckte Ermittlungen, Wiederholungstaten, eine sexuelle Tour de Force und Recherchen über den Feuertod des Renaissancemalers Giordano Bruno.
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In der diesjährigen Nachwuchsreihe [8:tension] wird die Bühne zum Tatort. Gruselig, provokativ, ironisch und lasziv - eine neue Generation junger Choreografen besticht durch ihre beinahe ruchlose Kompromisslosigkeit. Der deutsche Choreograf Martin Nachbar inszeniert in Verdeckte Ermittlungen einen Tanz, der nach Aufklärung verlangt. Inspiriert von Fernsehkommissar Derrick und seinem Darsteller Horst Tappert verwischt Nachbar Bewegungsspuren und sichert sie doch wieder. Ein Phantombild des tanzenden Körpers wird skizziert. Doch gab es überhaupt ein Verbrechen?

Und wer sind Derrick und Tappert oder Performer und Nachbar wirklich? Die Frage nach der Identität des Herstellers und Darstellers kann trotz Zeugenaussagen nicht so leicht beantwortet werden ...

Young und provokant
Eine Performerin in grünem Bikini bewegt sich im Discofieber der 80er zu einem Song von Lionel Richie, zwei nackte Frauen auf Schaukeln unterhalten sich über lesbische Liebe, eine Frau im Eva-Kostüm gibt animalische Anleitungen zur Masturbation. Die junge New Yorker Choreografin und Designerin Ann Liv Young präsentiert mit Melissa Is A Bitch erstmals ihre Arbeit in Europa. Ihr Spiel mit der Verunsicherung des Publikums ist trashig, poppig und lustvoll und erinnert an New Yorks legendäre Factory-Zeiten.

Die Slowenin Mala Kline, die u. a. mit Wim Vandekeybus und Iztok Kovac gearbeitet hat, stellt in Anlehnung an den Renaissancemaler, Magier und Philosophen Giordano Bruno tanztheatrale Körperbilder aus. "Der Heros, der die Welt retten wollte, wurde durch wilde Leidenschaft und Liebe für das Leben und die Liebe verführt und überschritt die Grenze des Erlaubten. Er verbrannte bei lebendigem Leibe, die Zunge verschnürt. Seine Worte murmeln weiter", sagt Kline. Ihr viel bejubeltes Choreografie-Debüt Campo de' Fiori - der Titel bezeichnet den Ort des damaligen Geschehens und ist heute programmatischer Ausdruck für den Übergang vom Alten zum Neuen - spricht Bände.

La Vision du Lapin (Die Vision des Kaninchens), eine Produktion der jungen Schweizer Cie. 7273, hat viel mehr mit Bugs Bunnys fiktiver Comicwelt als mit realen Tieren zu tun. Ihr Tanzlexikon besteht aus Unfällen, Fehlern, Wiederholungen und Break-bzw. Touchdowns in gelben Hockeyhelmen.

Das Publikum muss auf seine eigenen, live projizierten Gefühlsausdrücke reagieren. Auf der Videowall liest man; "Nicht nochmals das Helmduo!" oder "Warum knallt man die nicht wie Hasen ab?"

Mit dadaistischer Ironie testet Cie. 7273 die psycho-physischen Grenzen aller Beteiligten zum Live-Sound des Elektromusikers Polar aus. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.07.2005)