Viele, viele E-Mails sind seit Donnerstag in Mohammad Abdul Baris Computer gelandet, vom Ton her "fifty-fifty". Die Hälfte der Absender nahm den Islam in Schutz gegen den Pauschalverdacht, dass dies eine Religion des Terrors sei. Die andere Hälfte schüttete den Geistlichen mit Briefen zu, aus denen "blinder Hass quoll". Welche Schimpfworte verwendet wurden, will Bari für sich behalten. "Es tat jedenfalls weh."

Der Vorsteher der East London Mosque, geboren in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, lebt seit 1983 in London. Über die Jahre sah er seine Gemeinde mächtig anschwellen, da war das East End, wo seine ziegelrote Moschee liegt, ein Spiegelbild britischer Großstädte. Die Juden, die das Viertel einst prägten, zogen nach und nach weg, in ihren Wohnungen ließen sich Muslime vom indischen Subkontinent nieder. Heute kommen 7000 Gläubige zum Freitagsgebet. Doch seit den Terrorattacken geht in dem Gotteshaus an der Whitechapel Road die Furcht um.

Viele sind verängstigt, so wie Abdul Matin, der Besitzer des Heimwerkerladens Essential Discount Store. Abdul Matin erzählt, stockend erst, dann zutraulicher, es fällt das Wort "Backlash" ("Gegenreaktion", "Rückprall"). Einen "Backlash" gab es bereits nach den Zugbomben von Madrid, da wurden Scheiben eingeschlagen und Frauen mit Kopftuch angepöbelt. Etwas Ähnliches droht auch diesmal. In Birkenhead, einer Industriestadt bei Liverpool, warfen Unbekannte am Wochenende eine Brandflasche auf die Eingangstür einer Moschee.

Abdul Matin kann beides nicht begreifen, weder die Mörder, die die Bomben legten, noch die Dumpfbacken, die ihn als Muslim schuldig sprechen für etwas, worunter er selbst leidet. Am meisten Angst hat er nämlich nicht vor dem "Backlash", sondern davor, mit seinem Lieferwagen täglich durch einen Themsetunnel fahren zu müssen. Er wohnt in Blackheath, einem Viertel im Südosten der Metropole, ihm bleibt gar nichts anderes übrig, er muss täglich unter dem Fluss durch. Und am 7. Juli, da ergriff ihn Panik. Abdul Matin sorgte sich um seinen jüngsten Sohn.

"Gute Menschen"

Shuheb saß in Canary Wharf fest. Ein 15-jähriger Schüler, der in der unterirdischen Ladenpassage des Bankenviertels übungsweise in einer Boutique jobbte. Offenbar fürchtete der Krisenstab, auch Canary Wharf, mit seinen Wolkenkratzern Londons Manhattan, könnte angegriffen werden. Shuheb kam nicht weg, nichts fuhr mehr. Seine Mutter, Rangful Begum, rief bei ihrem Mann an, alle fünf Minuten: Abdul, wann holst du Shuheb endlich raus? Abdul Matin kann schon wieder schmunzeln, wenn er seine Gattin nachmacht. "Ich konnte doch nicht weg", verteidigt er sich, "ich hab doch einen Laden, der musste geöffnet bleiben." Er wagt einen Ausblick, vorsichtig optimistisch: "Die meisten Menschen sind gut, die Politiker sind gut, die Polizisten sind gut."

Mohammad Abdul Bari hat 24 Stunden nach den Attacken einen Friedensmarsch organisiert. Am Bahnhof Aldgate, wo einer der Sprengsätze detonierte, trafen sich die Würdenträger des East End, Anglikaner und Muslime, Buddhisten und Sikhs, Juden und Katholiken. Bewegt begann Scheich Abdul-Qayyum, der Vorbeter der Ostlondoner Moschee, seine Predigt an jenem Tag mit folgendem Satz: "Wer auch nur einen Menschen tötet, den sollte man so behandeln, als habe er die ganze Menschheit getötet". (DER STANDARD, Printausgabe, 12.7.2005)