Wien - An der Wiener Börse ist die Luft nach Einschätzung der Bank Austria nicht zuletzt wegen der gestrigen Terroranschläge in London vorerst draußen. Chefanalyst Alfred Reisenberger sieht für den ATX im zweiten Halbjahr nur mehr geringes Kurspotenzial. Kurz- bis mittlefristig werde es der Leitindex "schwer haben, sich deutlich von der 3.000 Punkte-Marke nach oben abzusetzen", wie er am Freitag sagte.

3.150 Punkte - sagen BA-CA und Erste

Seine Prognose für den Jahresendstand lautet auf maximal 3.150 Punkte. Dies ist somit genau jener Wert, den auch der Chefanalyst der Erste Bank, Friedrich Mostböck, vor wenigen Wochen als realistischstes Jahresziel für den ATX nannte. Gemessen am derzeitigen Stand von rund 3.084 Punkten beträgt der Spielraum nach oben somit höchstens zwei Prozent.

"Die Auswirkungen der Anschläge werden sich erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen", glaubt Reisenberger. Schon vor den Anschlägen habe man für den ATX, der allein im Vorjahr um 57 Prozent kräftig gestiegen ist und sich in den vergangenen 33 Monaten nahezu verdreifacht hat, nur noch wenig Impulse für weitere Kurssteigerungen nach dessen steiler Rekordfahrt gesehen. Durch die Terrorakte in London ändere sich an den Bewertungen aus fundamentaler Sicht zwar nichts, die Märkte seien aber "hochgradig nervös". Dem werde sich auch die Wiener Börse nicht entziehen können, wenngleich von starken Rückschlägen um mehrere hundert Punkte nicht auszugehen sei.

Gewinndynamik nimmt 2006 deutlich ab

Dazu kommt, dass Reisenberger derzeit nur wenig Chancen für Gewinnüberraschungen sieht. Zwar verdienten die börsennotierten Firmen anhaltend gut - und auch das erwartete Gewinnwachstum für 2005 sei mit rund 26 Prozent attraktiv -, aber, so seine Einschränkung, doch nur halb so stark wie im Jahr davor. 2006 werde die Gewinndynamik nochmals deutlich abnehmen, aber im zweistelligen Bereich bleiben. Momentan hält Reisenberger lediglich für die OMV weitere Wertzuwächse wegen des steigenden Ölpreises für möglich.

Den Gesamtmarkt im zweiten Halbjahr schätzt Reisenberger freilich keineswegs negativ ein, weil der bisher starke US-Dollar den Markt unterstütze. Vor allem OMV, Wienerberger, Semperit und RHI profitierten davon. Es bleibe nun abzuwarten, wie sich die Währungen nach den Anschlägen mittelfristig entwickeln.

Der ATX, der im heurigen ersten Halbjahr rund ein Viertel zugelegt hat, weist Reisenberger zufolge nach wie vor eine bessere Kursentwicklung als die westeuropäischen Leitindizes auf. Trotz höherem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) als EuroStoxx 50 und DAX sei der ATX noch günstig bewertet. "Fairerweise müssten wir den ATX aber auch mit den osteuropäischen Börsen vergleichen, zu denen sich Wien (wegen der Ostfantasie, Anm.) parallel entwickelt hat", so Reisenberger weiter.

Kürzere Empfehlungsliste

Die Kaufliste der BA-CA-Analysten ist nun kürzer geworden, nachdem sowohl der Markt als auch die Empfehlungen bei absoluten Höchstständen angekommen sind. Auf "Hold" abgestuft wurden Werte wie Andritz, EVN und Palfinger. Nach wie vor als besonders attraktiv werden Semperit (Kursziel: 27 Euro), Böhler-Uddeholm (141 Euro), Voest (69 Euro) und Agrana (90 Euro) bewertet. Auf der Kaufliste bleiben auch OMV (360 Euro), Telekom Austria (17 Euro), Verbund (230 Euro), Wienerberger (39 Euro) und Wiener Städtische (46,70 Euro). "Highflyer" BETandWIN.com wurde indes in einer Erstanalyse auf "Sell" gesetzt.

Das Umfeld für neue Kapitalmarkt-Emissionen (wie Börsengänge oder Kapitalerhöhungen) sieht Reisenberger nach der gestrigen Terrorserie in London deutlich verschlechtert. "Das Fenster, lange Zeit offen, ist zwar nicht zu, seit gestern aber nur mehr einen Spalt offen." Für Wien ist zuletzt der slowakischen Billigfluglinie SkyEurope Airlines nachgesagt worden, noch in diesem Sommer an die Börse gehen zu wollen. (APA/red)