"Tartuffe" bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf

Fotos: Lukas Beck
Perchtoldsdorf - Molière hat mit Tartuffe schon im absolutistischen Frankreich anno 1664 den Scientology-Haushalt von heute ausgemacht. Dort hat ein Mittvierziger den Faden verloren.

Dieser Monsieur Orgon (etwas jung und unverzagt: Georg Friedrich) hat nichts mehr, was seinen Glauben verdienen würde. Im Zusammenleben mit zwei hübschen, wesensfremden Kindern und einer noch hübscheren, mäßig interessierten Frau (Dorothee Hartinger) entschwand über die Jahre hin - der Sinn, das Schöne, der Geist, das Leben!

In verzweifelt bunt gescheckten Anzügen lebt dieser gute Mann den astreinen Reichtum seiner Pariser Großbürgerfamilie schließlich für nichts. Dann kommt Tartuffe (Markus Hering). Der Selbstgeißelungsheuchler und Scheinheiligbeter, in Wahrheit nur auf Geld und Frauen aus, schmeißt sich in schleimigen Verrenkungen an den einsamen, verlassenen, freud- und freundlosen Menschen.

Auf der heuer dreiseitigen (dafür weniger dem Wind ausgesetzten) Bühne der Perchtoldsdorfer Sommerspiele springt für diesen Auftritt in der oberen von vier Etagen eine von insgesamt 48 blütenweißen Türen (Ausstattung: Renate Martin und Andreas Donhauser) auf und zeigt den bigotten Mann (Hering) beim morgendlichen Trimm-dich-fit im Glauben (er peitscht sich schön sanft).

Regisseur Michael Sturminger, der jüngst in Zürich Heinz Karl Grubers/H. C. Artmanns der herr norrrdwind zur Uraufführung brachte, sagt hier mit einem wild gemischten Ensemble aus Filmschauspielern (neben Georg Friedrich spielt die aus Jessica Hausners Hotel bekannte Franziska Weisz), einem Radiomoderator (Christoph Grissemann) und Burgschauspielern (neben Hering gibt Hartinger die Gattin Orgons als undurchschaubare, kühle Hausgazelle) den Widrigkeiten des Openairtheaters vergeblich den Kampf an.

Die im Spiel freilich nicht immer sachgemäß behandelten Mikrofone verursachen Brutzelgeräusche in Dolby Surround. Für nächstes Jahr wünscht man sich - ein Wink an die Sponsoren - ein Dach.

Das seit der Intendanz Wolfgang Löhnerts zu den qualitätsgesicherten Sommertheatern zählende Unternehmen muss sich diesmal aber weniger um Natureinflüsse herumwinden als um einen fehlenden Kern, um nicht zu sagen: die fehlende Komödie!


Neuer Schluss

Am durchgängig schlechten Witz (z. B. Tartuffe kippt die sprichwörtliche Asche auf sein Haupt) zerbröckelt hinter der Fassade der Ernst der Komödie, die ganze Glaubensnotfrage. Was in der unschuldsweißen Wohnlounge bleibt, ist die dürftige, spielerisch äußerst heterogen absolvierte Oberfläche mit neuem Schluss - in der Übersetzung Bettina Herings und Constanze Kargls: Orgon erliegt trotz allem Dagegenhalten seiner Hausgenossen Tartuffe zur Gänze und gibt ihm tatsächlich seine Tochter zur Frau; dazu spielt man The Winner Takes It All . Das war keine schlechte Idee. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.7.2005)