Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Verwundeter bei Edgware Road Station nach den Anschlägen in London

foto: ap/EDMOND TERAKOPIAN
Es kommt immer wieder, es geht nicht weg. Immer wenn gerade ein gewisser psychologischer Abstand zum Horror des letzten großen Anschlags zu entstehen beginnt, schlagen sie wieder zu. Spätestens seit Madrid, den 192 Toten in Pendlerzügen im März 2004, weiß man, dass nicht nur die USA oder US-Einrichtungen Terrorziele sind.

Und auch wenn es diesmal wieder ein Land getroffen hat, das zu den Verbündeten der USA im Irakkrieg zählt, soll sich niemand der Illusion hingeben, dass die anderen die Sache nichts angeht.

Nüchtern betrachtet hat es eher lange gedauert, bis der Terrorismus das Großbritannien Tony Blairs erreicht hat, der als Hassfigur radikaler Islamisten US-Präsident George Bush in fast nichts nachsteht. London war auf die Verwaltung des Schreckens gut vorbereitet - zumindest war das der oberflächliche Eindruck, den man in den ersten Stunden nach dem Anschlag gewann.

Die Anschläge verhindern konnten die britischen Behörden nicht. Warum nicht, wird einer längeren Analyse bedürfen: War die Aufmerksamkeit zu sehr auf den gleichzeitig stattfindenden G-8-Gipfel gerichtet, sind die Überwachungsmechanismen generell unzureichend - oder muss man sich wieder einmal eingestehen, dass man ganz einfach keine Kontrolle über gewisse Vorgänge hat?

Die Logistik für mehrere gleichzeitig verübte Anschläge ist aufwändig, da muss Sprengstoff organisiert werden, da sind dutzende Leute involviert: Und in einem von Terrorismus seit Jahren akut bedrohten Land fällt im Vorfeld niemandem etwas auf? Die Hilflosigkeit, die westliche Demokratien in diesen asymmetrischen Konflikten regelmäßig an den Tag legen: Ist sie wirklich unvermeidlich beziehungsweise ist ihr wirklich nur durch ein zumindest temporäres Abgehen von gewissen demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien - eine Entwicklung in den USA seit 9/11, die uns Angst macht - zu begegnen?

In diesen Momenten ist es wohlfeil aufzuzählen, was alles nicht funktioniert. Trotzdem kommt man um den kritischen und auch selbstkritischen Befund an solchen Tagen nicht herum. Seit dem großen Einschnitt des 11. September 2001, nach dem sich die einzige Supermacht entschloss, etwas zu tun - und zwar nicht nur zu reagieren (Afghanistan), sondern zu agieren (Irak) -, sind wir nicht weitergekommen.

Die militärische Antwort war und ist völlig unzureichend. Und die Motivationslage für den Irakkrieg war viel zu unsauber. Fazit: Dass seitdem "die Welt sicherer" geworden sei, wie es uns der Herr im Weißen Haus erzählt, ist eine Behauptung, die sich am Donnerstag wieder einmal selbst kommentiert hat.

Aber was funktionieren würde im Kampf gegen den Terrorismus, lässt sich nur theoretisch darlegen: politische und wirtschaftliche Gerechtigkeit herstellen, dafür sorgen, dass die Globalisierung ohne wirtschaftliche und kulturelle Verlierer vor sich geht, alle Konflikte so lösen, dass der Radikalismus, den es immer geben wird, seine heute unerschöpflich scheinenden Pools verliert. Ein schöner Traum, nicht von dieser Welt.

Also werden wir so weitertun wie bisher. Die Toten zählen und begraben. Im schlechteren Fall uns ducken und die muslimische Nachbarin mit ihrem Kopftuch mit noch mehr Misstrauen betrachten - hat nicht der britische Premier von der "Verteidigung unseres Lebensstils" gesprochen, und ist sie nicht schon vielleicht ein Angriff darauf?

Im besseren Fall werden wir versuchen, uns eben nicht mitreißen zu lassen von der politischen Rhetorik Tony Blairs von Donnerstag, der vom Kampf der "zivilisierten Nationen" sprach, was ja wohl heißen muss, dass "unzivilisierte Nationen" für diese Anschläge verantwortlich sind und nicht kriminelle Täter, denen man mit dem Strafgesetzbuch beikommen könnte. Wobei Blairs sichtbar schwere Erschütterung als Milderungsgrund gelten mag. Angesichts der Bilder von London ist es schwer, mit der eigenen Wut umzugehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. Juli 2005)