Das "Harry's Time" hat einen Schanigarten, der wegen Regen nicht gezeigt wird

Foto: G. Wasserbauer

Wien, das wissen energische Touristen, hat viele schöne Plätze. Sie heißen Minoriten- und Josefsplatz, Am Hof oder Hoher Markt, Peters-, Helden- und Ballhausplatz - und meist haben sie eines gemein: Da lädt rein gar nichts zum Verweilen ein. Kein Wirt stellt seinen Garten raus, keine Bar öffnet die Türen, so weit es nur geht, kein Café macht einen auf Paris. Am Dr.-Karl-Lueger-Platz, einer weiteren schönen Lücke im Gassengewirr (wenn auch mit hässlichem Namen), ist das anders. Das Café Prückel rollt seit jeher einen entspannten Schanigarten aus. Diagonal gegenüber wird auf der komfortablen Plachutta-Terrasse bei 30 Grad und mehr über Schulterscherzel und Schnittlauchsauce gebrütet - völlig freiwillig, wie es scheint.

Ab sofort kann auf dem Platz mit der prächtigen Platane auch gut gegessen werden. Das Lokal heißt "Harry's Time", was aus der Küche kommt, ist dessen ungeachtet ziemlich österreichisch - vor allem aber selten inspiriert. Aber schön der Reihe nach: Ein Lokal gleichen Namens gab es die längste Zeit gut versteckt hinter dem ehemaligen Gericht Riemergasse. Der Standort galt in der Branche als Top-Location für einen Bauchfleck, Betreiber Harald Prandstätter machte daraus ein Restaurant mit gepflegtem Essen. Spannend wurde es, als Sohn Florian beschloss, selbst in der Küche zu werken.

Christian Domschitz, genialer Koch, Erfinder des Hummerkrautfleisches und Freund des Hauses, stand damals kurz vor Dienstantritt bei der Firma Mörwald und nahm sich des Zöglings an. "Der war täglich drei Stunden da und hat ihm gezeigt, was Sache ist - einen Monat lang", erzählt Prandstätter, "jetzt war Florian noch zwei Monate in Paris (im Stadtpalais des Zweisterners Apicius, Anm.), aber sonst ist alles auf seinem Mist gewachsen."

Und das ist wesentlich mehr, als manch dekorierter Gastro-Zampano je zustande bringen wird: eine für den gastronomischen Konservativismus Wiens geradezu hitverdächtige Küchenlinie nämlich, die zwischen gemütlicher Gutbürgerlichkeit und zeitgemäßer Interpretation auf ziemlich ausgereifte Weise zu spielen versteht. Das Thunfischbratl mit lauwarmem Speckkrautsalat ist da ein perfektes Beispiel: Zum klassisch angemachten Kraut wird ein gekümmeltes, ganz kurz gebratenes Thunfischfilet serviert, dazu ein feines, reduziertes Bratensaftl - fertig ist ein Gericht, das stadtfein gemachte Schweinsbraten-Vernichter richtig bezaubern sollte. Die unvermeidlichen Eiernockerln (getrüffelt . . .) geraten bissfest und cremig. Sie sind als Zwischengericht konzipiert, das auch an der Bar mit ihren Stehpulten (und speziell dafür entworfenen Besteckladen) genossen werden soll. Bis zwei Uhr früh gibt es solche und andere Leckerbissen, die im 20-Minuten-Takt um wohlfeile vier Euro unter die Trinker gebracht werden.

Auch das "Rindsgulasch vom Filetsteak", ein medium-rare gebratenes Steak mit Wachtel-Spiegelei und Fächergurke in schlicht sehr gutem Gulaschsaft wird den Typus des bourgeoisen Feinspitzes mit Sicherheit betören. Gerichte wie diese hat es schon im alten Lokal gegeben, wie auch die Idee des Abendmahls, bei dem um 39 Euro Gang um Gang um Gang aufgetragen wird, bis man irgendwann die Notbremse zieht. Der luftige Luegerplatz sollte sich als idealer Ort erweisen, um auch auf Repräsentation bedachte Kundschaft mit dieser Mischung aus Opulenz, Biedersinn und Delikatesse entsprechend einzukochen. (Severin Corti/Der Standard/rondo/08/07/2005)