Parteien, glaubt man, unterscheiden sich durch ihre Ziele, und wenn sie einander besonders hart bekämpfen, liegen ihre Ziele besonders weit auseinander. Wenigstens für Albanien trifft das nicht zu. "Demokraten" und "Sozialisten", die beiden rivalisierenden Parteien, sind von programmatischen Unterschieden so gut wie frei. Trotzdem bekämpfen sie einander härter als zwei Parteien irgendwo sonst in Europa. Das erscheint gelernten Westeuropäern als Widerspruch. In Albanien aber ist das nur logisch. Es geht zwischen den Parteien ja um die ganze Macht - folglich müssen die Demokraten auch die besseren Sozialisten sein und die Sozialisten die besseren Demokraten. "Du oder ich" ist die Frage, die in jeder Wahl entschieden wird. Inhaltliche Unterschiede sind im Kampf um die reine Macht nur eine Verunreinigung.

Die westlichen Geldgeber und Protektoren des zweitärmsten Landes in Europa haben lange gebraucht, um diesen Zusammenhang zu durchschauen. Wenn europäische Konservative und Christdemokraten in Sali Berishas "Demokraten" eine antikommunistische Bewegung und Sozialdemokraten und Liberale in den geläuterten "Sozialisten" von Premier Fatos Nano die Stimme der Vernunft sahen, irrten sie gleichermaßen. Heute bringen die europäischen (und im Falle des Wahlsiegers Beri^sha: die amerikanischen) Patrone der verfeindeten Parteien ihren Klienten bereits eine gesunde Skepsis entgegen. Berisha mag der Alte geblieben sein, aber es wird ihm kein zweites Mal gelingen, die Europäer gegeneinander auszuspielen.

Auch dass die Wahl ruhig verlief, ist ein gutes Zeichen. Die Konfrontation zwischen den Parteizentralen mag so scharf sein wie seit jeher. Auf die Bürger springt der Funke aber nicht mehr so ohne Weiteres über. Sie organisieren ihr Leben selbst und zahlen der Politik allenfalls ihren Tribut - was leider wörtlich zu verstehen ist. (DER STANDARD, Print, 7.7.2005)