Wien - Das Behindertengleichstellungsgesetz ist Mittwoch Nachmittag vom Nationalrat mit den Stimmen der Koalitions-Abgeordneten verabschiedet worden. Es soll Menschen mit Behinderungen Barrierefreiheit und die Möglichkeit zur Klage gegen Diskriminierungen bringen. Zur Beseitigung baulicher Barrieren wurden abgestufte Übergangsfristen zwischen einem und zehn Jahren eingezogen. Die Opposition stimmte mit Nein, weil SPÖ und Grünen die Neuregelungen nicht weit genug gehen.

Gleichzeitig beschlossen wurde eine Novelle zum Behinderteneinstellungsgesetz. Diese gibt vor, dass bauliche Barrieren am Arbeitsplatz - soweit es dem Arbeitgeber zumutbar ist - beseitigt werden müssen und verpflichtet den Dienstgeber, gegen Belästigungen am Arbeitsplatz vorzugehen. Einstimmig verabschiedet wurde, die Gebärdensprache in Verfassungsrang zu heben. Ihre automatische Verankerung als Amtssprache bedeutet dies allerdings ebenso wenig wie die Zulassung als Unterrichtssprache.

Große Worte

Große Worte von Seiten der Regierung gab es vor Beschlussfassung des Behindertengleichstellungsgesetzes. "Wir wollen mit diesem Gesetz allen Diskriminierungen eine weitere klare Absage erteilen", betonte Sozialministerin Ursula Haubner bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Für Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (V) geht die Vorlage über EU-Standards hinaus und brauche den "europäischen und globalen Vergleich nicht zu scheuen". ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg sprach von einem "historischen Moment".

Haubner räumte zwar ein, dass nicht alle Forderungen zu 100 Prozent erfüllt werden konnten, aber trotzdem sei das Gesetz ein "wichtiger Schritt" und eine "gute Basis". Es handle sich nun um einen Teilschritt, denn in den nächsten zwei Jahren wolle man das Gesetz entsprechend evaluieren. "Ich sehe das Gesetz absolut nicht als Schlussstrich", versicherte die Sozialministerin. Es dürfe keinen Stillstand geben, wenn es um die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen gehe.

Bei Neubauten und Generalsanierungen gelte das Gesetz sofort, bei der Möglichkeit zur Verbandsklage sei ein "guter Kompromiss" erzielt worden, erläuterte Haubner. Ein "gutes Signal" sei auch der Behindertenanwalt, der "natürlich weisungsfrei" sei. Die Position wird öffentlich ausgeschrieben, wobei behinderte Bewerber bevorzugt werden sollen. "Der internationale Vergleich macht uns sicher", tönte Wirtschaftsminister Bartenstein. Beinahe international einzigartig sei der Diskriminierungsschutz auch von Angehörigen behinderter Menschen.

ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg betonte, dass ein derartiges Gesetz ein "jahrzehntelanges Anliegen" behinderter Menschen gewesen sei. Er sprach von einem "historischen Moment für behinderte Menschen in Österreich". Aber allen müsse klar sein: "Behindertengleichstellung ist ein Weg". Man könne mit einem Gesetz nicht über Nacht die Welt verändern.

Zu der Kritik an den langen Übergangsfristen meinte der Abgeordnete erneut, dass diese Fristen notwendig seien. Schließlich wollte man die Wirtschaft dabei haben, damit das Gesetz auch vollzogen und kein totes Gesetz werde. Es stimme einfach nicht, dass beispielsweise eine Stufe erst in zehn Jahren beseitigt werden müsste, hielt der Behindertensprecher entsprechender Kritik entgegen. Gewisse Adaptierungen seien früher zumutbar, wie die Errichtung einer Rampe oder das Montieren einer Glocke. Und dies werde auch mit einem eigenen Fördersystem für Unternehmen gefördert.

Sozialstaats-Sekretär Sigisbert Dolinschek (B) betonte, dass man sich nicht nur auf die "Schultern klopfen" wolle, aber man sei nun anderen Ländern weit voraus. Haubner will demnächst Verhandlungen mit den Bundesländern aufnehmen, da es neun verschiedene Bauordnungen gebe. Innerhalb einer 15a Vereinbarung hofft die Ressortchefin auf eine rasche Lösung.

Caritas sieht Schönheitsfehler

Für die Caritas gibt es bei der Gleichstellung behinderter Menschen noch einige Schönheitsfehler. Caritas-Direktor Michael Landau kritisierte in einer Aussendung am Mittwoch die mangelnde Klagemöglichkeit auf Unterlassung und Beseitigung von Diskriminierung. Bei den Übergangsfristen werde nicht zwischen dem "Greißler ums Eck" und einem Großkonzern unterschieden. Das Aktionsbündnis "Österreich für Behindertenrechte" ist auch nicht begeistert.

"Die Beseitigung von Barrieren, die 5.000 Euro nicht überschreitet, ist einem Großkonzern auch vor 2015 zumutbar", meinte Landau. "Was als Mustergesetz zu einer barrierefreien, für Menschen mit Behinderungen offenen Gesellschaft angekündigt worden ist, stellt sich zurzeit als Muster mit Schönheitsfehlern dar", bemängelte Landau. Eigenartig ist für Landau auf die notwendige Zweidrittel-Mehrheit im Bundesbehindertenbeirat für eine Verbandsklage.

Der Caritas-Direktor hofft nun, dass ein umfassendes Bündelgesetz zur Aufhebung von Berufsbeschränkungen für behinderte Menschen auf Grund eines parlamentarischen Entschließungsantrages auch tatsächlich im Oktober kommt.

Wenig begeistert ist man beim Aktionsbündnis "Österreich für Behindertenrechte", einem Zusammenschluss von 50 Behindertenorganisationen. "Dieses Gesetz lässt befürchten, dass man sich von der umfassenden Gleichstellung behinderter Menschen für die nächsten Jahre verabschiedet hat", meinte Klaudia Karoliny vom Aktionsbündnis.

Das Recht auf Integration im vorschulischen Bereich und nach der Schulpflicht sei gesetzlich nach wie vor nicht verankert. Auch gebe es für gehörlose Personen nur wenig Fortschritt: Die Gebärdensprache werde zwar anerkannt, das Gesetz sehe aber keine Richtlinien für die Inanspruchnahme und Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern und deren Ausbildungsstandards vor. (APA)