Halleh Ghorashi
Foto: Ghorashi
Wien - Im Rahmen der 16. Internationalen Konferenz der Iranian Women's Studies Foundation (IWSF) wurde vom 8. bis 10. Juli in Wien über die Situation von Frauen im Iran diskutiert. Unter den Referentinnen befand sich auch die im Iran geborene und in Amsterdam lebende Anthropologin Halleh Ghorashi. Im Interview mit die Standard.at spricht sie über die Auswirkungen der iranischen Revolutionen auf das Leben von Frauen, Emanzipationsbewegungen in- und außerhalb der islamischen Republik und darüber, was von der anstehenden Ahmadi-Nejad-Präsidentschaft zu erwarten ist.

dieStandard.at: Der Titel ihres Vortrages lautet: 'Alles ist möglich für iranische Frauen'. War die Präsidentschaft des Reformers Khatami nicht eine Enttäuschung für Frauen, was den Ausbau ihrer Chancen im öffentlichen und beruflichen Leben betrifft?

Ghorashi: Die Tatsache, dass Khatami zum Präsidenten gewählt wurde, hat er dem Aktivismus von Frauen zu verdanken. Um dies zu verstehen, muss man ein bisschen weiter zurückgehen, in das Jahr 1979, wo Frauen sehr stark an der ‚Revolution’ partizipierten. (Anm.: Vertreibung des Schahs und Abschaffung der Monarchie). In dieser Zeit beteiligten sich Frauen sehr stark an öffentlichen Diskussionen, Demonstrationen und in politischen Organisationen. Die Periode zwischen Ende 1978 und 1981 war eine Zeit relativer Freiheit, wo bisher verbotene Bücher gelesen wurden und sehr viel diskutiert wurde. Fakt ist, dass die damaligen politischen Ereignisse die Fraueninteressen überschatteten, was wiederum bei den Frauen ein dauerhaftes Bewusstsein für ihre Anliegen schuf.

Wegen der brutalen Unterdrückung jeglicher Form von Opposition in der darauf folgenden Zeit kam dieses Bewusstsein aber erst wieder im Lauf der 1990er zum Vorschein. Die neuen islamischen Führer konnten die Forderungen der Frauen nicht dauerhaft unterbinden. Deshalb nenne ich diese Entwicklung auch das Paradox der islamischen Revolution: Einerseits war sie sehr repressiv gegenüber Frauenrechten im besonderen, andererseits schuf dieselbe Revolution bei Frauen erst einmal das Bewusstsein für ihre Rechte.

dieStandard.at: Was hat sich seit den 1990ern getan?

Ghorashi: Es regte sich von innen Widerstand gegen das islamische Regime, und hier waren Frauen von Beginn an sehr stark vertreten. Zu dieser Zeit gab es noch nicht einmal Raum für eine säkulare Bewegung, die sich offiziell vom Islam distanziert. Um Frauenrechte zu verteidigen, blieben viele säkulare Frauenaktivistinnen innerhalb des islamischen Rahmens. Zur gleichen Zeit kam aber auch der 'Islamische Feminismus' auf. Frauen wurden in der Öffentlichkeit, im Journalismus, im Kino, an den Universitäten und in der Kunst aktiv und sichtbar. Das alles hat dazu beigetragen, dass ein Reformer wie Khatami 1997 zum Präsidenten gewählt wurde. Khatami war zu dieser Zeit aber auch nur die schlechte Alternative zu einem wirklich säkularen Kandidaten, der einfach nicht existierte.

dieStandard.at: Wie hat sich die Khatami-Regentschaft auf Frauen ausgewirkt?

Ghorashi: Zum einen wurde der Kampf zwischen Hardlinern und Reformisten erstmals klar ersichtlich. Und er gab den Menschen, die sich nach Veränderung sehnten, Hoffnung. Seit dem Ende der 90er hat sich eine Zivilgesellschaft gebildet, die Khatami auch tatsächlich schützte. Somit war erstmals öffentliche Kritik am politischen System möglich, wenngleich immer unter harter Attacke der Hardliner.

Andererseits blieb Khatami weit hinter seinen Versprechungen und auch den Erwartungen der Frauen zurück. Weder das islamische System wurde reformiert, noch entstanden neue Handlungsräume außerhalb. Wieder wurden also Hoffnungen enttäuscht, was problematisch ist. Es hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass es keine wirkliche Veränderung geben kann, solange der Klerus über dem Gesetz steht.

dieStandard.at: Gibt es jetzt eine feministische Bewegung im Iran?

Ghorashi: Mehr denn je. Viele linke Aktivistinnen aus der Zeit der Revolution wurden starke Vertreterinnen der Frauenrechte entweder innerhalb oder außerhalb des Irans. Im Land handeln viele säkulare Aktivistinnen unter dem Deckmantel des islamischen Feminismus, um mehr zu erreichen. Die Exil-Iranerinnen können sich selbst als säkular bezeichnen.

Außerdem ist noch eine weitere Unterscheidung wichtig: Die zwischen den islamischen Frauenaktivistinnen und den muslimischen Feministinnen im Iran.

Erstere wendet sich gegen eine westlich geprägte Vorstellung von Feminismus als Kampf um Gleichheit zwischen den Geschlechtern und sieht im Islam eine Religion, die Frauen von Grund auf entgegenkommt. Harte Beschränkungen für Frauen im Namen des Islam sind demnach Folge einer falschen Interpretation des Korans. Sie sehen die Rolle der Frau als ergänzend zu der des Mannes. Diese Gruppe ist eine der stärksten Verbündeten des islamischen Regimes, jedoch kann deshalb nicht gesagt werden, dass sie sich nicht für die Verbesserung der Situation von Frauen einsetzen.

Die zweite Gruppe glaubt an die Gleichheit der Geschlechter innerhalb eines islamischen Rahmens. Damit dies möglich wird, müssen ihrer Ansicht nach die Grenzen des Islams ausgedehnt werden. Sie nennen sich selbst Feministinnen und sind der Überzeugung, dass der Islam reformiert werden muss. Im Gegensatz zu den islamischen Frauenaktivistinnen widerstehen sie der Versuchung, die Gleichheit zwischen den Geschlechtern in einem islamischen Kontext aufzugeben. Diese Frauen sind sehr stark in der Reformbewegung aktiv: Beispiele sind die Frauenmagazine "Zanan", "Das zweite Geschlecht" ("Jens-e Dovvom") und die vierteljährlich erscheinende "Zeit der Frauen" ("Fasle Zanan").

dieStandard.at: Die Wahl von Ahmadi-Nejad zum Präsidenten war für die westliche Welt ein Schock. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ghorashi: Ja, ich war auch schockiert. Aber andererseits war ich auch schockiert, als Khatami zum ersten Mal gewählt wurde. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die IranerInnen gerne schockieren.

dieStandard.at: Wie erklären Sie sich den Sieg dieses Hardliners?

Ghorashi: Hauptsächlich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Schere zwischen arm und reich ist in den letzten Jahren weit auseinandergegangen. Viele soziale Reformen konnten gegen die konservativen Mächte nicht durchgebracht werden. Die Menschen glauben also nicht mehr wirklich an die Möglichkeiten der Reformer. Ahmadi-Nejad hat sich im Wahlkampf klar gegen Armut und Korruption ausgesprochen. Das war sicher ein ausschlaggebender Punkt.

dieStandard.at: Was bedeutet seine Wahl für die Rechte der Frauen?

Ghorashi: Er ist definitiv eine Gefahr für die geöffneten Frauenräume. Jetzt sind die Konservativen in allen Gremien an der Macht, was dazu führen könnte, dass die Opposition wieder umfassend unterdrückt wird. Aber wie gesagt, die Frauen wird das auf Dauer nicht aufhalten. Sie sind zu politisiert, um dauerhaft passiv zu bleiben. Genau hier sehe ich auch die Aufgabe der Diaspora-Iranerinnen, die internationale Gemeinde dazu anzuhalten, eine derartige Unterdrückung nicht wieder zuzulassen.

dieStandard.at dankt für das Gespräch!