Weckt in "Gute Zeichen" die (Wieder-) Leselust auf Autoren seiner Generation, wie Rainald Goetz, Peter Glaser, Paulus Hochgatterer oder Patrick Roth: Hubert Winkels, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk.

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Sebastian Fasthuber sprach mit dem Winkels über sein neues Buch über die deutschsprachige Erzählliteratur der letzten zehn Jahre.


Wien - Klagenfurt hat das literarische Leben mit einem großen Gähnen in den Sommerschlaf geschickt. Erst im Herbst können die Neuerscheinungen der kommenden Saison den Beweis antreten, dass deutschsprachige Literatur nicht so anämisch sein muss, wie es die meisten der um den Bachmannpreis ritternden Texte nahe legten. Bis dahin lohnt es sich, mit Hubert Winkels einen Blick zurück zu werfen. Der beim Deutschlandfunk beschäftigte Kritiker hat in seinem Buch Gute Zeichen. Deutsche Literatur 1995-2005 einen von Rainald Goetz bis Patrick Roth reichenden Alternativ-Kanon bemerkenswerter Erzähler unserer Tage entworfen, in dem sich anspruchsvolle Ästhetiken und gute Lesbarkeit nicht ausschließen. Winkels' emphatische Empfehlungen regen an, versäumte Lektüren nachzuholen, sind persönlich gefärbt und streitbar (siehe Kasten), eines aber sind sie ganz bestimmt nicht: blutleer.

STANDARD: Dürfen wir die Entwicklung der deutschsprachigen Literatur in den letzten zehn Jahren wirklich so positiv sehen? Winkels: Ja. Ich würde nicht sagen, es ist ein Schlaraffenland der literarischen Kultur ausgebrochen, aber es hat sich doch einiges sehr positiv entwickelt. Meine Diagnose begründet sich auf den Umstand, dass zwei Entwicklungen, die getrennt verlaufen sind, wieder zueinander gefunden haben. Das eine ist, wo wir schon in Österreich sind, die experimentelle Tradition, da wäre etwa Kathrin Röggla eine Fortsetzung davon, das andere die realistische Erzählung, der Unterhaltungsroman. Die Feindschaft zwischen diesen beiden Lagern ist einigermaßen überwunden. Dass man anspruchsvolle Romane lesen kann, die gleichzeitig sehr spannend sind, das scheint mir die prägnanteste Entwicklung zu sein.

STANDARD: Die Jahre 1995- 2000 standen im Zeichen von Popliteraten wie Christian Kracht oder Benjamin von Stuckrad-Barre. Was blieb vom Hype? Winkels: Die für mich interessante Frage ist, was davon in die so genannte richtige Literatur eingesickerte. Wenn die davon nur lernt, dass man sich auch trauen kann, schlank und direkt zu erzählen, ist schon viel erreicht. Die Literatur braucht ab und zu diese Reinigung, dass junge Leute sagen: Ich kann euren intellektuellen Schrott nicht haben, hier ist meine Story. Aber solche Gruppen halten nicht lange, irgendwann geht der eine nach Thailand und der andere wird drogensüchtig.

STANDARD: Apropos Gruppenbildungen: Es scheint, als würden Autorinnen und Autoren heute eher als Ich-AGs ihr klar abgegrenztes Feld beackern, als ästhetische Anknüpfungspunkte mit Kollegen zu suchen. Winkels: Die treffen sich zwar alle ständig, einige Junge haben ja praktisch keinen festen Wohnsitz mehr, aber gleichzeitig findet wirklicher inhaltlicher Austausch tatsächlich immer weniger statt. Was mir beim Stichwort Ich-AGs jedoch einfällt: Es gibt ein wachsendes Unbehagen darüber, dass die Literatur immer mehr als ein Unterhaltungsangebot unter vielen wahrgenommen wird. Viele Autoren wollen keine Gute-Nacht-Lektüre sein für ein Bürgertum, das es nicht mehr gibt, die wollen auch ein Stück Absolutheit erreichen mit ihren Texten.

STANDARD: Auf den Trend zu gehobener Unterhaltung könnte also eine neue Radikalisierung der Literatur folgen? Winkels: Ja, ich spüre eine ästhetische Radikalisierung, vielleicht auch eine gesellschaftsbezogene. Das sind jetzt schon Kaffeesatz-Lesereien, aber gerade die Fokussierung auf einerseits Gewalt und andererseits Religion in vielen Texten der letzten Zeit legt den Schluss nahe.

STANDARD: Auffällig ist, dass Sie sich in Ihrem Buch auf Autorinnen und Autoren konzentrieren, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren geboren wurden. Wieso das? Winkels: Das erklärt sich wohl ein bisschen aus meinem Geburtsjahrgang 1955. Ich bin erst zur Gegenwartsliteratur gekommen durch ungefähr mit mir gleichaltrige Autoren wie Peter Glaser oder Rainald Goetz, die in den frühen Achtzigerjahren mit ihren Texten meine Lebenshaltung getroffen haben. Da kam ein extremes Authentizitätsgefühl zum Vorschein, das einem zuvor in zehn Jahren Literaturstudium systematisch abtrainiert wurde. Auf einmal war der Autor nicht mehr tot, sondern wieder als unwiderstehliche subjektive Kraft am Werk.

STANDARD: Gerade Autoren dieser Generation, ob nun Goetz, Thomas Meinecke oder Ralf Rothmann, sind über all die Jahre trotz Aufs und Abs immer spannend geblieben. Winkels: Genau, andererseits ist diese 79er-Generation aber auch diejenige, mit der eine Kontinuität abreißt. Wenn Sie heute in der Straßenbahn mit normalen Menschen ein Gespräch über Literatur anfangen, dann werden die noch Jelinek, Handke oder Turrini kennen, also jetzt 60-Jährige, aber keine Jüngeren. Diese ästhetisch nicht auf einen Punkt zu bringende Generation um Goetz oder weniger bekannte Autoren wie Patrick Roth scheint mir aufmerksamkeitstechnisch schon recht unterbelichtet. Deshalb empfand ich es als sinnvoll, sie mal zu fassen zu kriegen. (DER STANDARD, Printausgabe, 06.07.2005)