"Ihr dürft ihm ja nicht in die Augen schauen, das könnte ihn provozieren. Wenn er grantig wird, solltet ihr besser zu Boden blicken und euch dann langsam, ganz langsam, auf die Erde legen, egal ob dort ein Ameisenhaufen ist oder nicht. Falls dort tatsächlich ein Ameisenhaufen ist, dann leidet eben in Stille." Nach den letzten Anweisungen von unserem Führer David, dem Spaßvogel, geht der Aufstieg im Regenwald der Virungaberge los, wir besuchen eine Berggorillafamilie. Nicht irgend einen Affenclan, sondern die Familie des Silberrücken Gohonda Sabyinyo.

Der Regenwald erweist sich als nahezu undurchdringlicher Dschungel. Blickdichter Bambusbewuchs, Buschwerk und radkappengroße Brennesselblätter ergänzen die Steilheit des nichtvorhandenen Weges.

Der Nationalpark der Virungaberge im Dreiländereck Ruanda, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo besteht aus ehrfurchtgebietenden Vulkankegeln, deren Hauptberg Muhabura um die 4500 Meter hoch ist. Unser Vulkankegel, der Sabyinyo - er gab dem Affenclan den Namen - ragt nur um die 3000 Meter in den Himmel, immer noch um 2900 Meter zu hoch für ein in die Jahre gekommenes Stadtkind.

So keucht man schweißgebadet hinter den Führern nach, die sich mit einer Leichtigkeit im Urwald bewegen wie unsereins im Kaffeehaus. Vor uns befindet sich eine Gruppe von Spurensuchern, den Tracern, die Kontakt mit der wandernden Gorillafamilie halten und uns über Funk in die Nähe der Tiere lotsen. Die Silberrücken werden von den Parkrangern nicht "Tiere" oder "Affen", sondern "Individuen" genannt. Bald werden wir wissen, warum.

Bergauf zieht sich die Zeit. Nach einer kleinen Ewigkeit, in der das Herz vergeblich versuchte, das Blut aus den Ohren zu pumpen und die Lunge permanent mit Streik drohte, haben wir den Kraterrand des Sabyinyo erreicht, jetzt geht es wieder bergab, dafür manchmal fast senkrecht.

"Da vorne sind sie", flüstert Führer David plötzlich. "Wo?", in der Dunkelheit unter dem Blätterdach des Regenwaldes ist im ersten Augenblick nichts zu erkennen. Dann raschelt es wenige Meter vor uns und ein bildschönes Ungetüm erhebt sich aus dem Unterholz: Gohonda Sabyinyo, der Chef persönlich, steht vor uns. Gohonda, dieses 29jährige Prachtexemplar der Gattung gorilla gorilla beringei, ist fast zwei Meter hoch und breit, und scheint uns regelrecht erwartet zu haben.

An seiner Haltung merkt man, dass er Widerworte nicht duldet. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, trommelt er mit den Fäusten gegen seine Brust: Er will uns gleich zeigen, wer hier der Herr im Haus ist. Dann dreht sich der Riese gemächlich um, und die Führung beginnt.

Schlagartig kapiert man auch, warum Gohonda von den schwarzen Rangern "Individuum" genannt wird: Der Gorilla kann offenbar reden, sich irgendwie mitteilen, erzählen, und man glaubt ihn nach kurzer Zeit zu verstehen. Die Führer verständigen sich durch fröhliche Gutturallaute mit Herrn Gohonda, man mag einander.

Zuerst stellt uns Herr Gohonda einige seiner Frauen vor: Da wäre Turiko, die junge Schönheit, die ihm den kleinen Jisho geboren hat. Neben ihr sitzt friedlich die Dame Mudahusha, mehrfache Mutter und so etwas wie seine Hauptfrau. Und da drüben hockt Frau Kampanga und gibt gerade ihrem Baby Gihishamavotsi die Brust. Seine anderen Frauen sind irgendwo auf Futtersuche.

Dann gibt es da noch den jungen Rijango, meint Gohonda, der soll einmal mein Nachfolger werden. Bis es soweit ist, muss Rijango aber noch viele Blätter fressen, sein Rücken ist noch kein bisschen weiß. Dann darf Rijango auch die Freuden der Fortpflanzung erfahren, aber bis dahin ist er der unbedingten Keuschheit verpflichtet. Gohonda würde ihm das Genick brechen, vergriffe sich der junge Spund vor der Zeit an der holden Weiblichkeit.

Der Silberrücken führt uns sogar in eines seiner Schlafzimmer. Unter einem Felsvorsprung in der Kraterwand hat er sich einen Grashaufen zurechtgelegt, auf dem er es sich bequem macht und den grandiosen Ausblick auf den gegenüberliegenden Berghang genießt.

Nach einer Stunde wird Gohonda unruhig, schließlich sind wir ohne Einladung gekommen. Er will, dass wir gehen, setzt uns wenige Meter vom Ausgangspunkt der Führung ab und entzieht sich unsern Blicken.

Irgendwie müssen wir bei unserem Abgang zwischen seinen Harem und ihn gekommen sein, denn völlig unvermutet bricht der Koloss aus der grünen Blättermauer und donnert brüllend einen halben Meter entfernt an uns vorbei. Von wegen wie empfohlen ganz, ganz langsam im Augenblick der Gefahr zu Boden gehen, wie vom Blitz gefällt, küsst man die Erde. Auch das Gerede, dass das Leben in Bildern an einem vorbeizieht, wenn der letzte Vorhang fällt, muss Unsinn sein: Es geht alles viel zu schnell.

Beim Abstieg vom Sabyinyo ertappt man dann die Führer, wie sie sich verschmitzt zugrinsen. Der Verdacht wächst, dass der letzte Auftritt von Gohonda reine Show, ein abgekartetes Spiel mit den Rangern war. Wie gesagt, die können mit Gorillas reden. (Der Standard, Printausgabe)

Information:
Ein Besuch bei den Berggorillas muss bei der ruandesischen Tourismusbehörde in Kigali unter 00250 76514 telefonisch oder per Fax unter 00250 76512 angemeldet werden. Oder man wendet sich zwecks Terminvereinbarung direkt an Claude Seruhungo, den Tourismuschef des Virunga-Nationalparks, der im Büro unter 00250 / 54 66 45 und am Handy unter 00250 / 08 51 98 74 erreichbar ist. Man darf nur eine Stunde bei den insgesamt 630 Affen in den acht Familien verbringen, da sich die Tiere sonst zu sehr an Menschen gewöhnen könnten. Die Stunde kostet 250 US-Dollar. Maximal 30 Touristen werden pro Tag in die Berge gelassen, als beste Reisezeit gilt wegen der Trockenheit Juli und August. Das Gebiet gilt auf ruandesischer Seite dank starker Truppenpräsenz seit Monaten als absolut sicher