Galtür - Das Lawinenunglück 1999 in Galtür, bei dem mehr als 30 Menschen den Tod fanden, hatte wieder die Diskussion über die Verantwortung gegenüber der Natur und über Wehrlosigkeit heftig entfacht. In Galtür hat man nun Mauern aus riesigen Steinquadern gebaut, um den Ort gegen einen weiteren Niedergang von Lawinen zu schützen.

Doch Mauern alleine können nicht schützen, wenn das Bewusstsein der Menschen hinter ihnen zurückbleibt. So hat die Gemeinde Galtür den renommierten Komponisten Georg Friedrich Haas beauftragt, ein Werk zum Gedenken an die Katastrophe zu schreiben, das nun als große Freiluftmusik zwischen der Mauer und den Berghängen uraufgeführt wurde. "Ich bin selbst in den Bergen aufgewachsen und habe gelernt, die Natur in ihrer Gewalt und in ihrer Schönheit zu fürchten und zu lieben", schrieb Haas im Text zu dem Stück. Diese Verbindung aus Faszination und Beklemmung war Grundtenor des Werks für zwölf große Trommeln, drei Blasmusikorchester und Kirchenglocken.

Der Titel Ritual gab schon vorab etwas vom Inhalt preis. Es ging um Fragen des Halls, um Zeitverschiebungen, die die mäßige Geschwindigkeit des Schalls herbeiführt, es ging um das Wandern von Klängen und um die Wirkungen von Trauermarsch-Motiven, die von ferne herüberwehen. Die Gruppen (Militärmusik Vorarlberg, Stadtmusik Landeck-Perjen und die Swarovski Musik Wattens, dazu die Gruppe The Next Step) waren im Tal und an den Hängen postiert, spielten sich Klänge zu, legten die Landschaft unter einen Sound-Teppich oder erprobten Echo- und Nachhallwirkungen.

Haas freilich ist ein viel zu selbstkritischer Komponist, um sich nur mit verblüffenden Effekten zufrieden zu geben. Denn so sehr es dem Faszinosum des Raumhalls nackt vertraute, wurde zugleich eine Schicht sich verdichtender Trauer darübergelegt. Haas entkleidete die Stereotype des Trauermarschs, führte sie auf wenige Grundelemente zurück, die sich zusehends bohrender festsetzten.

Immer mehr entstand drangvolle Enge, und in ihr wuchs die Frage nach der Zukunft unserer Entwicklung im Naturkontakt. Zum Schluss zogen die Kapellen ab, zurück blieben die Trommeln, die sich mit den Kirchenglocken verbanden. Das Ritual trauernder Beschwörung klang von den Bläsern noch von Ferne herüber, ehe es verschwand. Zurück blieb die Natur in ihrer Übermacht, die es zu besänftigen galt. (DER STANDARD, Printausgabe, 05.07.2005)