Washington - Das Oberste Gericht der USA (Supreme Court) nimmt eine Schlüsselstellung im politischen System des Landes an. Das Gremium mit neun Richtern ist das einzige Gericht des Landes, das in der Verfassung explizit vorgesehen ist.

In dem Fall Marbury v. Madison von 1803 nahm es dann offen seine bis heute wichtigste Funktion für sich in Anspruch: Über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen sowie von Anordnungen der Exekutive zu entscheiden. In diesen Fragen sind seine Urteile so gut wie endgültig. "Wir urteilen nicht abschließend, weil wir unfehlbar sind, sondern wir sind unfehlbar, weil wir am Schluss stehen", hatte Richter Robert H. Jackson einmal gesagt.

Dieses auf Englisch "judical review" bezeichnete Recht ist in den USA jedoch bis heute umstritten. Seit Jahren werfen konservative Politiker wie auch Juristen den auf Lebenszeit ernannten Richtern vor, neue verfassungsmäßige Rechte einfach zu erfinden. Vor allem eine Entscheidung von 1973, die das Verbot von Abtreibungen für verfassungswidrig befand, sorgt bis heute für Unmut. "Es ist im wahrsten Sinne des Wortes wahr, dass sich das Oberste Gericht der USA von der Verfassung losgelöst hat", sagte 2004 der konservative Supreme-Court-Richter Antonin Scalia. "So gibt es jetzt ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung, etwas, das 200 Jahre lang ein Verbrechen war."

Die Mehrheit des Gerichts sieht dagegen die von seinen Vätern bewusst eher allgemein gehaltene US-Verfassung als ein "lebendes Dokument", das im Licht einer sich verändernden Gesellschaft interpretiert werden muss.

In Laufe der Geschichte haben die Richter daher auch sehr unterschiedliche Urteile zu den gleichen Sachverhalten gefällt. 1857 entschied das Gericht, dass Schwarze - selbst die, die keine Sklaven seien - niemals Bürger der USA werden und als "Wesen einer untergeordneten Ordnung" sich nicht auf die in der Verfassung garantierten Rechte berufen konnten. Dreißig Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs und damit auch der Sklaverei befand das Gericht die Rassentrennung noch für Rechtens und Schwarze damit für Bürger zweiter Klasse. Dies wurde schließlich 1954 aufgehoben, als das Gericht eine Trennung in der Bildung für verfassungswidrig erklärte.

Sieben der neun amtierenden Richter sind von republikanischen Präsidenten ernannt worden. Daran wird sich durch die Nominierung von John Roberts (50) zum Nachfolger der zurückgetretenen Sandra Day O'Connor nichts ändern. Der inzwischen 80-jährige Oberste Richter William Rehnquist wurde von Richard Nixon nominiert und dient seit 1972. Roberts war Anfang der 1980er Jahre Mitarbeiter im Büro von Rehnquist und dürfte somit der erste Höchstrichter werden, der gemeinsam mit seinem Mentor im Supreme Court sitzt.

Die Nominierung John Paul Stevens (85) geht auf Gerald Ford zurück. Gleich drei Richter - Scalia (69), Anthony Kennedy (68) und O'Connor (75) - wurden von Ronald Reagan nominiert. David Souter (65) und Clarence Thomas (57) waren Vorschläge von George Bush, dem Vater des jetzigen Präsidenten George W. Bush. Zwei Richter gehen dagegen auf den demokratischen Präsidenten Bill Clinton zurück: Ruth Bader Ginsburg (72) und Steven Breyer (66).

Der Rücktritt O'Connors Anfang Juli beendete den längsten Zeitraum ohne Personalwechsel am Supreme Court seit 1823. Erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt wurde wieder ein Sitz frei. In nächster Zeit werden jedoch weitere Rücktritte erwartet, unter anderem der des schwer kranken Rehnquist. Jeder vom Präsident nominierte Kandidat muss vom Senat bestätigt werden. Obwohl die oppositionellen Demokraten keine Mehrheit im Gremium haben, können sie die Ernennung blockieren. (APA/Reuters)