Innsbruck - Dass sich die Alpengletscher zur Zeit in einer Rückzugsphase befinden, gibt immer wieder Anlass zur öffentlich geäußerten Besorgnis. Klimageschichtlich betrachtet ist das laut dem Gletscherforscher Kurt Nicolussi von der Universität Innsbruck nichts Besonderes. Er gehört zu einer Forschergruppe, die überzeugt ist, dass sich seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.500 Jahren Gletschervorstöße- und -rückzüge immer wieder markant abgewechselt haben.

Die Warmphasen, in denen die Gletscher oft nur halb so groß wie heute und viele sogar ganz verschwunden waren, dauerten oft lange an. Für die Geographen, die dieses Phänomen erforschen, liefern vor allem uralte Baumstämme wichtige Klimaindizien. Derartige Relikte apern seit einigen Jahren verstärkt aus den Gletschern. Sie zeigen vor allem, dass es Zeiten gab, an denen in heute vergletscherten Hochgebirgsregionen große Bäume standen und offenbar über Jahrhunderte wachsen konnten. Unlängst erregte der Schweizer Tschierva-Gletscher im Zusammenhang mit derartigen Untersuchungen Aufsehen. Der Jahrringexperte Nicolussi und seine Forscherkollegen von der Universität Bern bargen aus dem abschmelzenden Eis eine fast 7.000 Jahre alte Zirbe, die immerhin 600 Jahrringe aufwies.

Lang anhaltende Warmzeiten

Dieses Phänomen lässt sich laut Nicolussi aber auch für die österreichischen Alpen nachweisen. Ähnliche Funde gibt es von der Pasterze, dem Gletscher des Großglockner. "Auch da hat es seit den Neunzigerjahren Baumstämme mit bis zu drei Metern Länge herausgespült. Sie stammen von Stellen, die seit vielen Jahrhunderten nicht mehr eisfrei waren", berichtete Nicoluss. Weitere prähistorische Hölzer, die der Jahrringexperte untersucht hat, stammen von den Eisfeldern im Tiroler Kauner- und Zillertal. Dort tauchten bis zu 4.000 bzw. 2.500 Jahre alte Stämme auf.

Zusammengefügt würden die Einzelergebnisse bestätigen, dass in den vergangenen Jahrtausenden es in den Alpen mehrere lang anhaltende Warmphasen mit extrem kleinen Gletscherständen gegeben habe. Schnee- und Waldgrenze lagen damals zum Teil deutlich höher als heute. "Absolut gesehen, vor dem Hintergrund der gesamten Nacheiszeit, ist der heutige Gletscherrückgang nichts besonderes. Früher war es normal, dass die Gletscher kleiner waren. Die jetzige Klimasituation liegt, so gesehen, etwa im Durchschnitt, ist nicht als extrem zu betrachten", meinte Nicolussi.

Suche nach den Ursachen

Was die Klimaschwankungen der Vergangenheit verursachten, ist nun Forschungsgegenstand der Experten. Laut Nicolussi spielt eine Fülle von Faktoren mit, etwa die Änderungen der Sonneneinstrahlung oder Vulkanaktivitäten, die feinen Staub in die Atmosphäre blasen. Und der menschliche Einfluss durch Industrie- und Autoabgase? "Der ist für die prähistorischen Zeiten natürlich auszuschließen. Und trotzdem hat es auch damals massive Erwärmungen gegeben", sagte Nicolussi. Damit will der Forscher negative Einwirkungen des Menschen auf die Klimaentwicklung in jüngster Zeit natürlich nicht in Zweifel ziehen, aber: "Der Einfluss des Menschen ist sicher ein - wenn auch derzeit schwer zu beziffernder - Faktor in einem sehr komplexen System." (APA)