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STANDARD: Niederländer und Franzosen haben Nein zur EU- Verfassung gesagt, jetzt ist das EU-Budget gescheitert. Was ist da schief gelaufen?

Bolkestein: Die Franzosen haben Nein gesagt, weil sie mit der EU-Erweiterung unglücklich sind und Angst vor der Globalisierung haben. Die Niederländer, die größten Nettozahler der EU, sind in erster Linie wegen des Umgangs mit dem Stabilitätspakt verärgert, darüber, dass die Regeln für manche einfach geändert werden. Das sind die Fakten; und Faktum ist auch, dass der Vertrag für eine Verfassung tot ist.

STANDARD: Was kann die EU daraus lernen?

Bolkestein: Zuerst einmal müssen wir das Budgetchaos lösen, und Frankreich, Deutschland und Italien müssen eine viel strengere Finanzpolitik fahren. Und der EU gehören Grenzen gesetzt, es fehlt ein Mechanismus, der das tut. Die EU darf nicht mehr machen als ihre eigentlichen Aufgaben.

STANDARD: Die da wären?

Bolkestein: Gemeinsame Prob^leme lösen, alle Hindernisse auf dem Markt wegschaffen. Das Problem ist, dass die EU viel zu viel tut. Der neue EU- Verfassungsvertrag hätte das verhindert. So gesehen haben die Bürger, die dagegen gestimmt haben, sich selbst geschadet: Sie wollen ja mehr Selbstbestimmung.

STANDARD: Wie kann man dem Budgetdesaster begegnen?

Bolkestein: Alle Elemente, die ein Mitgliedstaat selbst erledigen kann, sollen auch dort erledigt werden. Warum sollten die Deutschen für die Erhaltung der Landschaft in Frankreich zahlen? Warum fließt aus den Regionalfonds Geld in reiche Staaten? Das alles passt nicht zusammen.

STANDARD: Wie sehen Sie das für Nettozahler Österreich?

Bolkestein: Genauso: Österreich zahlt ein und bekommt Geld zurück. Ich bin gegen dieses Geldrecycling. Der Gürtel in Wien wird mit EU-Geldern saniert, das Burgenland bekommt Geld - aber warum sollten die Brüsseler Beamten besser als die Wiener wissen, was dem Gürtel und dem Burgenland gut tut? Kurzum: Das Budget gehört reformiert, und die Briten sollten sich auf eine moderate Kürzung ihres Rabatts vorbereiten. Es ist Zeit für Mäßigung: Jedes Mitgliedsland muss seine Ausgaben in Griff bekommen, um den Stabilitätspakt zu erfüllen. Aber die EU will ihre Ausgaben erhöhen - das ist doch einfach lächerlich.

STANDARD: Wie soll die EU denn sparen?

Bolkestein: Indem sie sich auf ihre Aufgaben beschränkt. Die EU ist kein Staat und darf auch nicht so agieren. Sonst endet sie wie die österreichisch-ungarische Monarchie.

STANDARD: Die studieren Sie gerade. Wo sehen Sie Parallelen?

Bolkestein: Diese Monarchie war ein riesiger Markt, mit hohem Wachstum von durchschnittlich 4,5 Prozent, mit brillanter Wissenschaft, Kunst, Kultur. Trotzdem ist sie untergegangen, zerschellt am Felsen des unterdrückten Nationalismus. Man soll diesen Vergleich nicht übertreiben, aber die EU leidet unter dem selben Phänomen: Sie will zu viel zentral regeln; die Reaktion der Leute darauf sehen wir gerade.

STANDARD: Sie sind gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Warum?

Bolkestein: Die Türkei ist zu groß, zu arm, zu anders, und die EU-Bevölkerung ist gegen ihren Beitritt. Wenn wir die Türkei aufnehmen, sind die Ukraine, Moldawien, Belarus, Armenien die nächsten. Ein Türkeibeitritt würde letztlich zum Ende der EU führen.

STANDARD: Ist die EU wettbewerbsfähig? Chinesische Textilimporte bringen sie fast ins Wanken.

Bolkestein: Die EU ist viel zu wenig marktorientiert; ganz besonders trifft das auf Deutschland, Frankreich und Italien zu. Das muss man sich vorstellen: Der italienische Notenbank-Chef, Antonio Fazio, auf Lebenszeit bestellt, verbietet, dass internationale Banken italienische kaufen. UniCredit kauft gerade die deutsche HVB. Das ist Scheinheiligkeit, die EU sollte Italien vor Gericht bringen. Aber sonst: bloß keine Panik. Die Europäer sollen das tun, was sie am besten können, und die Chinesen billige Textilien erzeugen lassen. Ich kaufe auch lieber ein Hemd um fünf als um 30 Euro. Jeder soll das tun, was er am besten kann.

STANDARD: Was wäre das in Österreich?

Bolkestein: Der Tourismus. Ich komme jedes Jahr: Im Sommer nach Salzburg, mit meiner Frau. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26.6.2005)