Inmitten unberechenbarer Strömungen ist der Abzug von Israel aus dem Gazastreifen wie ein Anker, an den sich alle hängen. Die Vereinigten Staaten, die für jeden Lichtblick im Nahen Osten dankbar sind, bejubeln die Auflösung von Siedlungen als einen "historischen Schritt". Die Europäer, die dem "einseitigen" Plan von Premier Ariel Sharon ursprünglich skeptisch gegenüberstanden, hoffen jetzt, dass er die Rutsche zurück zur "Road Map" legt, die nirgendwohin geführt hat. Sharon selbst hat, um für Israel ungünstigere Optionen abzuwenden, ohnehin sein ganzes Prestige auf die "Abtrennung vom Gazastreifen" gesetzt. Und der von den anarchischen Zuständen zerzauste Palästinenserchef Mahmud Abbas kann gegenüber den Radikalen argumentieren, sie mögen vorläufig stillhalten, weil man ja immerhin ein Stückchen Territorium zu gewinnen habe. Doch aus allen Richtungen drohen Schiffbruchgefahren. Die vielen West- Bank-Siedler, die ihren wenigen Kollegen im Gazastreifen zu Hilfe kommen wollen, könnten es durchaus schaffen, zwei, drei Wochen lang "das Land lahm zu legen" und Sharon in Verlegenheit zu bringen. Der Hamas wiederum liegt viel daran, zu beweisen, dass sie es ist, die Israels Armee mit Waffengewalt in die Flucht schlägt - und wenn in den kommenden Wochen wieder Raketen fliegen, dann gibt es das Gegenteil von einem Abzug, nämlich Besetzung und Kampf. Und was kommt nach dem Abzug, wenn er wirklich gelingt? Palästinenserchef Abbas ist jedenfalls nicht gewillt, die Islamisten zu entwaffnen, sondern er setzt vielmehr darauf, dass die Hamas sich mäßigt und nach und nach "in die politische Arena eintritt" - bis das geschieht, könnte aber das Autonomieregime zerbrechen. Und in Israel wird im Jahr 2006 gewählt, was sicherlich einen Stillstand und vielleicht auch einen Rechtsruck mit sich bringt. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2005)