Es ging nicht nur um Geld, sondern um weit mehr: Die Frage, wohin die Gemeinschaft aus 25 Staaten steuert und wie sie sich weiterentwickeln soll, hat zum Scheitern des EU-Gipfels geführt. Anders als bei vorherigen Krisen, wo es vor allem um Geld- oder Machtverteilung ging, brach diesmal ein Grundsatzkonflikt auf, für den keine rasche Lösung in Sicht ist. Die einen, angeführt vom Briten Tony Blair, wollen eine EU, die nur ein großer Binnenmarkt ist. Die anderen - bei Weitem die meisten alten Mitglieder und auch die neuen - wollen eine stärker integrierte Union, die auch den Anspruch erheben kann, eine stärkere Rolle auf der politischen Weltbühne zu spielen.

Da auch die Deutschen nicht mehr bereit sind oder angesichts ihrer Finanzlage nicht mehr bereit sein können, Konflikte durch höhere Zahlungen zu lösen, befindet sich die EU in der wohl schwersten Krise. Auch das Problem, wie mit dem Verfassungsprozess weiterverfahren werden soll, ist auf die lange Bank geschoben worden. Hier geht es um die Frage, wie die EU transparenter gestaltet und den Bürgern mehr Einfluss verschafft werden kann. Da Letzteres Teil des Grundsatzkonfliktes ist, war es konsequent, dieses Problem vorerst aufzuschieben.

Es könnte auch der Zeitplan nicht schlechter sein: Denn mit 1. Juli übernimmt Großbritannien die EU-Präsidentschaft. Da sich der Konflikt in der Endphase des Gipfels auf "Einer gegen alle" reduziert hat und deshalb London für die mit dem Vorsitz verbundene ausgleichende Rolle ausfällt, heißt es für alle: einfach durchtauchen. Die Krise wird dadurch nicht gelöst, sondern wird weiter schwelen und sich damit auch verschärfen. Die Belastung, die auf Österreichs EU- Präsidentschaft ab 1. Jänner 2006 zukommt, wird dadurch noch größer. Wien wird sich als ausgleichender Vermittler betätigen müssen. Ob es angesichts der labilen Lage der Koalition dazu fähig ist, muss sich erst zeigen. Für Europas Zukunft ist das mitentscheidend. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2005)