In einer Wahlkampfrede hatte der Teheraner Oberbürgermeister Mahmud Ahmadi-Nejad, der eher als Außenseiter antrat, eine bemerkenswerte Ankündigung getan: Die Iraner könnten bei den Wahlen auf eine Überraschung gefasst sein. Der Ultrakonservative hat sie nun selbst geliefert.

Mit 5,700.000 Stimmen der gut 46 Millionen Wahlberechtigten geht er in die Stichwahl gegen Expräsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani. Ungleich mehr Millionen Iraner und Iranerinnen, als ihn gewählt haben, sind von dieser Entwicklung zutiefst verstört. Am Sonntag bebte im Iran dann auch noch kurz die Erde, zynisch gesagt (das darf man, weil das Erdbeben offenbar keine nennenswerten Schäden anrichtete) war das ein schöner Symbolismus.

Nun gibt es natürlich Leute - professionelle Beobachter sind übrigens nur sehr wenig unter ihnen -, die sagen, das ist im Iran doch alles eins, es sind alle vom selben Schlag, zumal der alte Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, in dessen achtjähriger Amtszeit die Menschenrechte im Iran mit Füßen getreten wurden und der für Morde an Dissidenten teilweise persönlich verantwortlich gemacht wird. Ist alles richtig. Trotzdem hatte sogar die - nach unseren Standards politisch völlig inkorrekte - Meinung, die auch von manchen durchaus liberalen Iranern und Iranerinnen vertreten wurde, ihre Daseinsberechtigung, dass ein Sieg Rafsanjanis sogar dem des Reformkandidaten Mostafa Moien vorzuziehen gewesen wäre.

Eine einfache Frage beweist das: Hätte Moien genug Rückhalt im politischen Establishment, um dieses zu überzeugen, dass ein Verzicht auf das Uran- Anreicherungsprogramm, das längst den Status einer nationalen heiligen Kuh erreicht hat, im nationalen iranischen Interesse ist? Na eben. Moien wäre eine in jeder Beziehung schwächere Ausgabe Khatamis gewesen, und ohne dessen Charme.

Aber das sind heute Sorgen, die man sich zurückwünscht. Dem Iran droht jetzt etwas ganz anderes als ein schwacher Präsident. Welch furchtbare Ironie wäre es, wenn nach den vielen Jahren, in denen Mullahs die iranische Exekutive geführt haben, der erste Präsident ohne Turban ein religiöser Rechtsradikaler wäre. Sein Programm war als einziges unter allen Kandidaten ein ideologisches. Als die Begeisterung beim Wahlvolk prompt ausblieb, wurden für seine Wahl offensichtlich paramilitärische Kräfte mobilisiert (siehe Seite 5). Man kann über die Islamische Republik sagen, was man will, aber das hat es bis jetzt bei einer iranischen Präsidentenwahl noch nicht gegeben.

Dass es sich bei diesen Vorwürfen nicht um die Reaktion eines schlechten Verlierers handelt, ist daraus zu schließen, dass die Aussagen von anderen Kandidaten (oder ihren Sprechern) einander sehr ähneln. Mehdi Karrubi, der so um seinen zweiten Platz Gekommene, ist in dieser Beziehung um jeden Verdacht erhaben: Das ist ein Mann der Mitte, zwar Vorsitzender des früheren iranischen Reformparlaments, aber selbst kein Freund von liberalen Experimenten.

Wenn er tatsächlich Zweiter geworden wäre - wie ihm ja wahrscheinlich zustand - dann würde die Analyse hier ganz anders ausfallen: zwei gemäßigte Kandidaten vorn, die für Pragmatismus, eine Absage an Radikalismus und Entideologisierung der Politik stehen, aber auch die Enttäuschung der Iraner und Iranerinnen mit dem Reformlager reflektieren. Das macht Sinn.

Was wunder nimmt, ist, dass sich die Konservativen überhaupt die Arbeit gemacht haben und - wie zu befürchten ist - weitermachen werden: Mit Khatami sind sie doch auch wunderbar Schlitten gefahren. Die einzig gute Nachricht heute ist eben, dass sie nervös sind: angesichts der Veränderungen der iranischen Gesellschaft in den vergangenen Jahren, aber auch angesichts Rafsanjanis, von dem sie fürchten müssen, dass sie nicht mehr so leicht mit ihm fertig würden. Und er war ja tatsächlich derjenige, der in seiner Präsidentschaft der ganzen liberalen Misere - Sicht der Konservativen - den Weg geebnet hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2005)