Bevor Rumäniens Aussichten auf einen EU-Beitritt konkreter wurden, waren die Verträge mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Karpatenland das einzig mögliche Leumundszeugnis auf dem internationalen Kreditmarkt. Jetzt weht ein anderer Wind in Bukarest. Seit dem Machtwechsel Ende 2004, als eine liberal geführte Regierung und der liberale Präsident Traian Basescu ans Ruder kamen, ist Selbstbewusstsein angesagt. Rumänien senkte die Einkommens- und Körperschaftssteuer auf einheitliche 16 Prozent, ohne den IWF zu fragen. Dieser befürchtet jetzt ein zu hohes Haushaltsdefizit.

Doch aus Bukarest gibt es nun erstmals offenen Widerspruch. Der junge Finanzminister Ionut Popescu, früher Wirtschaftsjournalist, besteht darauf, dass das Haushaltsdefizit gefahrlos 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen darf und nicht unter 0,5 Prozent gehalten werden muss, wie der IWF verlangt hatte. Jetzt scheint, so Insider, eine Einigung auf 0,7 Prozent in Sicht. Die Prognosen über hohe Einkommensausfälle für den Staat seien nicht eingetroffen, sagt Popescu.

Acht Prozent Wachstum

Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten vier Jahre rechtfertigt die neue Courage. Das BIP wuchs 2004 um geschätzte 8,3 Prozent, und die Inflation sank erstmals unter zehn Prozent. Investoren strömen ins Land, angelockt durch den niedrigen Stundenlohn von durchschnittlich 0,95 Euro. Rumänische Billigautos der Marke Dacia, gefertigt in einem Renault-Tochterunternehmen im südrumänischen Pitesti, rüsten zum Sturm auf den westlichen Markt. In Bukarest und in Städten wie Hermannstadt (Sibiu), Klausenburg (Cluj) und Temesvar herrscht Boom.

Derweil sind im ganzen Land die Preise für Grundstücke, Appartements und Häuser gestiegen, je nach Region um das Zwei- oder Dreifache in den letzten fünf Jahren. Die Eckdaten und Indikatoren sind gut, doch gibt es Schönheitsfehler und Gefahren, die die neue Regierung offenbar erkennt. Zum einen ist der Wohlstand noch bei Weitem nicht in der ganzen Bevölkerung angekommen. Zum anderen könnte der 2007 geplante EU-Beitritt (der um ein Jahr verschoben werden kann) zu früh kommen, schon allein, weil Rumänien keine Zeit hat, von seinem Randstatus zu profitieren wie etwa das Nachbarland Ungarn, wo westliche Investoren Steuervergünstigungen bekamen, die in der EU nicht erlaubt sind.

Präsident Basescu ist der erste Politiker Rumäniens, der seine mehrheitlich EU-begeisterten Landsleute vor den Kosten des Beitritts gewarnt hat. Rumänien muss offensichtlich bestimmte Etappen schneller überspringen als die 2004 beigetretenen neuen EU-Länder. So gesehen, könnte die schon jetzt eingeführte niedrige Einheitssteuer ein Schritt in die richtige Richtung sein. (Kathrin Lauer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.6.2005)