Robert Misik, 39, lebt als Publizist in Wien. Zuletzt erschien sein Buch: "Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore", Aufbau-Verlag, Berlin.

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derStandard.at: Wie schätzen Sie die Chancen für das neue Linksbündnis in Deutschland ein?

Robert Misik: Grundsätzlich hoch. Es gibt ein Unbehagen am Kapitalismus, an der eklatanten Verletzung von Gerechtigkeitsnormen, aber auch an Kommerz, daran, dass alles zur Ware wird. Dieses Unbehagen ist politisch nicht repräsentiert - die Bundestagsparteien vertreten ja in etwa alle das selbe. Deshalb hat eine neue Formation Chancen.

Das Problem ist aber, dass die sehr gewerkschaftlich geprägte WASG kaum eine moderne Linke repräsentieren kann. Und Oskar Lafontaine, ein etatistischer Sozialdemokrat mit einer Prise Populismus und mehr als einer Spur Egomanie, elektrisiert wohl weniger Leute, als er und seine Mitstreiter glauben.

derStandard.at: Sie haben in einem taz-Kommentar geschrieben "Die Linkspartei ist das Symptom eines Mangels - aber sie behebt den Mangel nicht" - Wozu braucht es dann das Linksbündnis? Welchen Mangel meinen Sie und wer könnte diesen beheben?

Misik: Es gibt dieses beschriebene Unbehagen an der kapitalistischen Kultur. Gleichzeitig sind die Menschen nicht so dumm, zu glauben, mit ein bisschen Nachfragesteigern und Sozialstaatsverteidigen würden bereits alle Probleme gelöst. Auch ein Zurück zur formierten Gesellschaft mit verallgemeinerten Regelarbeit in Büro und Fabrik, ihren linearen Erwerbsbiografien wird es nicht geben.

Unsere Gesellschaften sind differenter geworden. Eine moderne Linke müsste diese Differenz, die viele ja auch als Befreiung erleben, und das Ziel von mehr Gleichheit - im Sinn von sozialer Gerechtigkeit - zusammenspannen.

derStandard.at: Ist Oskar Lafontaine der einzig verbliebene Sozialdemokrat Deutschlands? Wo steht Schröder?

Misik: Oskar Lafontaine glaubt - oder vielleicht besser: er tut so, als glaubte er - es würde genügen, an ein paar Stellschrauben zu drehen, gewissermaßen vom gesellschaftlichen Cockpit aus, und schon zeitigt das die von ihm intendierten Folgen. Wenn das jemals funktioniert hat (was zweifelhaft ist) - heute funktioniert das nicht mehr.

Schröder wollte die Sozialdemokratie modernisieren, weil er instinktiv spürte, nur so kommt er ins Kanzleramt - ihm fehlte aber eine Idee für die Modernisierung. Beide sind Sozialdemokraten - beide haben schwere politische (und, was sich nicht trennen lässt, charakterliche) Defizite.

derStandard.at: Das deutsche Linksbündnis sucht noch einen Namen, wie würden Sie es taufen?

Misik: Demokratische Sozialisten - das wäre der beste Namen, würde aber die Egoismen der WASG-Leute wohl auf eine zu harte Probe stellen.

derStandard.at: Gibt es "die österreichische Linke"? Wer vertritt sie?

Misik: Es gibt rebellische, widerständige, nonkonformistische Milieus. Wahrscheinlich sind sie unter den jungen Leuten majoritär. Politisch, das heißt, auf der Ebene der Politik-Politik, haben sie keine Vertretung.