Offen, hell, spacig: An der TU Wien lässt Professor Christian Kühn die angehenden Architekten Schulen entwerfen. Phillip Latzers Modell bietet Raum zum Lernen, Spielen und Entspannen auf mehreren Ebenen.

Modell: Philip Latzer, TU Wien
Klassen, die in ihrer Größe und Gleichförmigkeit mehr an Batteriehaltung erinnern als an Lernorte für Kinder. Vorn die Tafel, Lehrerpult, Schülertische. Dazu lange Stiegenfluchten, die nur als Verkehrsflächen für die Schülerströme dienen - und fertig ist die durchschnittliche österreichische Schule. Mehr Aufbewahrungsort auf Zeit denn inspirierende Lernumgebung.

Das wird sich ändern müssen, denn ab Herbst 2006 sollen die Schulen in breiterem Umfang Tagesbetreuung anbieten, plant Bildungsministerin Elisabeth Gehrer. Sie setzt vor allem auf "Improvisieren" - mit dem Wirt ums Eck für das Mittagessen - und die örtlichen Vereine für die Freizeit.

Experten meinen: Das wird nicht reichen. Eine Schule für den ganzen Tag braucht auch eine andere Architektur. "So wie die meisten unserer Schulen heute aussehen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Schüler, aber auch Lehrer, so schnell wie möglich wieder raus wollen", sagt Unterrichtswissenschafter Franz Hammerer von der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien im STANDARD-Gespräch.

"Schularchitektur ist immer ein Spiegel davon, wie wir Lernen sehen", verweist er auf die skandinavischen Pisa-Siegerländer: "Das ist gebaute Pädagogik." In den schwedischen "Futurum"-Schulen etwa sucht man Klassenzimmer vergeblich. Die Lernräume gleichen Ateliers und Labors, in denen in Gruppen, ohne Stundenplan, dafür mit individuellem Logbuch, gelernt wird. In Schweden sagt man, der Raum ist der dritte Lehrer - nach den Kindern selbst und den eigentlichen Pädagogen.

"Die Bedeutung von Räumen für das Gelingen schulischer Bildung wird bei uns völlig unterschätzt. Man muss diese Normen - 2,5 Quadratmeter pro Kind, 60 Zentimeter vom Tisch im Konferenzzimmer pro Lehrer - aufbrechen. Da muss politisch etwas geschehen, und es kostet etwas. Schulen als Treibhäuser der Zukunft brauchen Raum", sagt Hammerer. Offene, moderne Raumkonzepte wirkten sich nämlich positiv auf Lern-und Sozialverhalten aus.

Dem größten Schulbesitzer Österreichs ist die Relevanz der Schularchitektur bewusst: "Pisa schwebt buchstäblich im Raum", sagt Herbert Logar, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft BIG, der 60 Prozent der allgemein bildenden höheren und berufsbildenden Schulen (rund 300 Standorte) gehören. Der Rest entfällt auf Ministerium, Gemeinden und Private.

Die BIG habe bereits Kontakt mit den Landesschulräten, um den Infrastrukturbedarf für Schulen mit Tagesbetreuung zu eruieren. "Österreich ist, was Schulen betrifft, fast fertig gebaut. Hauptthemen sind Generalsanierungen oder funktionelle Adaptierungen", so Logar. Als "Bauherr" lege die BIG großen Wert auf Architektur. Mehrere Bauherrenpreise - etwa für die AHS Heustaelgasse in Wien - zeugen vom Bemühen um gute, moderne Schularchitektur.

Abreißen statt sanieren

Was ist eine "gute Schule"? "Sie steht an der richtigen Stelle in der Stadt, ist offen nach außen, wird Schülern, Lehrern und Eltern gerecht. Das Schulgebäude muss als Teil der Pädagogik begriffen werden", so Architekturprofessor Christian Kühn vom Institut für Gebäudelehre der TU Wien: "Den Großteil der meist sehr pragmatischen Bauten aus den 70er-Jahren sollte man abreißen statt sanieren."

Bei neueren Schulen sei "die Architektur oft besser als das pädagogische Konzept. Schulen sind noch viel zu oft Gleichschaltungsinstitute. Ästhetisch oft toll, gehorchen sie oft veralteten pädagogischen Modellen", so Kühn.

Vorbilder seien Schweden, Kanada und Finnland: "Sie haben Entwicklungsprogramme, die die Schule als pädagogisches Instrument sehen. Das muss sich in der Architektur niederschlagen. Selbst organisiertes, individuelles Lernen erfordert andere Schulen." (DER STANDARD-Printausgabe, 30.5.2005)