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Wann und weshalb beginnt also die Klassifizierung in Männer- und Frauenspeisen? Samo Kobenter führt aus.
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Um einmal mit Johannes Mario Simmel, auch ein großer Fresser und Frauenversteher vor dem Herren, zu beginnen: Geneigter Leser, bezaubernde Leserin, Sie wissen eh', dass Sie sich hier auf ein Luxusthema einlassen? Männeressen, Frauenessen war, sieht man einmal vom kannibalischen Standpunkt ab, kein Thema, das die Zivilisationen vom Beginn ihres Wandels an beschäftigt hätte. Es ist eher ein literarisches, und das war, wie noch zu zeigen sein wird, ebenfalls nie gender-spezifisch, jedenfalls nicht bis vor kurzem.

Nicht, dass so viel theoretische Selbstsicherheit auf eigenem Mist gewachsen wäre: Schlagen Sie beispielsweise bei Fernand Braudel nach, Sozialgeschichte des 15.-18.Jahrhunderts, was der über das Essen der reichen und armen Leut' zu sagen hat: Da ging es auch an vollen Tafeln nicht darum, was wer isst, sondern vor allem dass wer isst. Auch in den entwickelten Küchen dieser Zeit, also vorzüglich in der chinesischen und französischen, war das erste Ziel der kulinarischen Reise die Sättigung, erst dann kam der Genuss. Unter solchen Prioritäten wurde logischerweise nicht in Männer- oder Frauennahrung eingeteilt - der Einwand, in jagenden Frühzivilisationen hätten Männer mehr stärkendes Fleisch verschlungen als Frauen, gilt hier nicht mehr. Abgesehen davon ist er auch nicht hinreichend belegt.

Was sich jedoch von Beginn der Esskultur an wie der sprichwörtliche Faden durch dieselbe zieht, war der Hang der Menschen zum Luxus, zur kulinarischen Exklusivität: England war beispielsweise im 18. Jahrhundert so voll des Lobes der Schildkrötensuppe, dass sich die bedauernswerten Viecher bestandsmäßig bis heute nicht davon erholt haben. Die Chinesen wieder hatten einen ähnlich gierigen Hang zu Schwalbennestern aus Tonkin, in Indochina und Java gaben sich die feinen Damen und Herren gerne Bärentatzen oder Pfoten anderer Raubtiere, die gepökelt aus Siam, Kambodscha oder der Tartarei geliefert wurden. Wie jeder Luxus, jede Mode, wechseln auch die Essmoden rasch und spiegeln in erster Linie die sozialen Unterschiede ihrer Gesellschaften: Heute gelten Schildkröten, Bärentatzen und Schwalbennester bestenfalls als exotische und gemeinhin eher ungenießbare Rarität, welche neben dünn geschnittenem Rindfleisch oder Lachs verblasst, die wiederum die Alten nicht angegriffen hätten, wenn sie die Wahl gehabt hätten. Vor allem Lachs galt bekanntlich als Arme-Leute-Fraß, wenn auch nur dort, wo er überreichlich vorhanden war.

In einer Hinsicht allerdings wurde tatsächlich lange Zeit Wert auf pure Frauenspeisen gelegt, wobei der Grund nicht im Genuss, sondern buchstäblich in den Umständen lag: Wöchnerinnen wurden seit jeher besonders verköstigt, wobei der Umfang der zugeführten Nahrungsmittel proportional zum Leibesumfang zu steigen schien. Was die einschlägige Literatur zur Ernährung einer hochschwanger Darniederliegenden empfiehlt, darf aus heutiger Sicht getrost als Beleg für die bemerkenswerte Robustheit des weiblichen Geschlechts gelesen werden. Eier im Dutzend, Fleischbrühen in Litern, Brei und Mus in Kilomengen, dazwischen Gegartes, Gebratenes und Gesottenes werden als Tagesration empfohlen - ein Wunder, dass überleben und gebären konnte, wer so traktiert wurde.

Wann und weshalb beginnt also die Klassifizierung in Männer- und Frauenspeisen? Vielleicht hat es etwas mit der Diversifizierung der Sinnlichkeit zu tun, die seit dem 19. Jahrhundert in Europa zu beobachten ist. Vielleicht auch damit, dass dieses Jahrhundert mit der Entdeckung der Körperlichkeit, der Sexualität in einer nie zuvor versuchten Weise beginnt, indem es die Dinge erstmals zu benennen wagt und Begierden und Trieben auf den Grund geht. Man muss dabei nicht gleich an die billigen Bilder denken, die am Ende dieses Weges, also heute, stehen und die von der Werbewirtschaft flach- und breitgeklopft wurden wie ein Wienerschnitzel: Also Frauen, die einen Spargel so beziehungsvoll in den Mund führen, oder Männer, die eine Auster so nachdrücklich ausschlecken, dass einem bloß die Grausbirnen aufsteigen statt, wie überdeutlich beabsichtigt, etwas anderes.

Am Anfang sah das anders aus, wurde es anders transponiert und transportiert: In den Geschichten Guy de Maupassants beispielsweise, in dem die Gelage der Protagonisten zu Börsen des Begehrens mutieren, auf denen Angebot und Nachfrage in verschlüsselten Codes angezeigt werden. Da hat es durchaus Bedeutung, was und wie eine Frau oder ein Mann isst, allerdings sollte das auch entziffert werden können. Oder bei James Joyce, der seinen Helden richtig - Verzeihung - brunzelnde Hammelnieren nach Hause tragen, in Butter braten und seiner Freundin servieren lässt: Allein daraus ließe sich nicht nur eine - sehr oberflächliche - Theorie männlichen und weiblichen Essens, sondern eine - ebenfalls oberflächliche - männlichen und weiblichen Begehrens sowie ihrer jeweiligen Sichtweisen entwickeln: der männlichen wie der weiblichen selbstverständlich. Ganz abgesehen von einer die Biografie und Sexualität des Autors betreffenden, aber das ist ohnehin ausführlich geschehen.

Was bleibt also, wenn die Zeichen entschlüsselt sind? Man kann sie, nur ein Vorschlag, neu zusammensetzen. Und sich auf die Frage einlassen, was Männer- und Frauenspeisen sind. Wäre ich Kellner, würde ich dem bedienten Herren etwa empfehlen: Wildpastetchen, gebratene Hühnerleber in Marsalajus auf Apfelscheiben, Rindslende mit Polentaküchlein, Datteln gesotten in Currysaft. Der bedienten Dame: Crevetten in Dill mit Wiesensalaten, Spargel-Ricottaravioli auf einem Weißweinspiegel, gesottenes Kabeljaufilet mit Gurkenrisotto, Crème brulée. Wäre ich Kellnerin, umgekehrt. Mir selbst empfehle ich in gemütlichen Stunden des Alleinseins: Flaschbier (ohne Glas!) und zwei Stück frisches Kärntnerbrot, eines mit Almbutter, das andere mit Verhackertem bestrichen. Aber fingerdick. Und danach einen Zirbenen, Mann ist ja nicht mehr fünfundzwanzig. (Samo Kobenter/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.5. 2005)