Frankfurt/Main - Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass urteilt nach jahrelangem Zerwürfnis milder über den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. "Ich hätte ihn umarmen sollen. Das sei hiermit nachgeholt", schrieb Grass in einem Beitrag für das Buch "Begegnungen mit Marcel Reich-Ranicki", das anlässlich des bevorstehenden 85. Geburtstag des Kritikers am 2. Juni entstanden und in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) in Auszügen gedruckt ist. Grass bezog sich mit dem Ausruf auf einen Besuch Reich-Ranickis in Lübeck, dem Wohnort des Autoren, "vor Jahresfrist nach längerem und dröhnendem Schweigen".

Grass: Kritiker sei umgänglicher geworden

Bei dem Besuch waren laut Grass "beide ein wenig gerührt. Der wechselseitigen Abhängigkeit bewusst, gingen wir schonend miteinander um." Sein Verhältnis zu Reich-Ranicki beschreibt Grass so: "Ich werde ihn nicht los, er wird mich nicht los." Der Kritiker sei allerdings umgänglicher geworden und "er stellte sogar Fragen".

Reich-Ranicki hatte vor einigen Jahren den Roman "Ein weites Feld" von Grass vernichtend kritisiert und war zudem auf einem Titelbild des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" zu sehen, wie er das Buch zerriss. Dies habe ihn verletzt, so Grass in dem Beitrag für den Geburtstagsband, in dem unter anderem auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Autor Siegfried Lenz über ihre Erfahrungen mit dem Kritiker berichten. Die Gedichte des Nobelpreisträgers hat Reich- Ranicki im Gegensatz zu dessen Romanen hingegen immer wieder sehr gelobt. (APA/dpa)