Bringt das Frühjahr Wahlen mit sich?

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Rot-Grün in Deutschland ruft Neuwahlen aus, Rot und Grün in Österreich drängen, dem Beispiel zu folgen. Die ÖVP beharrt offiziell auf Herbst 2006. Inoffiziell ist sie auch auf Wahlen während des EU-Vorsitzes eingestellt.

Wien – Viele Stimmen, ein Satz. "Wir wählen im Herbst 2006" – der Satz wurde Montag aus vielen ÖVP-Mündern wiederholt. Die VP-Vizeobleute Elisabeth Gehrer und Wilhelm Molterer, Außenministerin Ursula Plassnik: Alle betonten, dass die Nationalratswahl nicht vorverlegt werde.

Auch die Argumente waren überall dieselben. Erstens stehe Österreich anders da als Deutschland, etwa in puncto Budget. Zweitens stehe im ersten Halbjahr 2006 Österreichs EU-Präsidentschaft an. Drittens habe die ÖVP von 26 Wahlen unter ihrer Kanzlerschaft 23 gewonnen.

"Wenn Kanzler Wolfgang Schüssel genauso mutig ist wie Gerhard Schröder, müsste er noch im Herbst wählen lassen", drängt SPÖ-Geschäftsführer Norbert Darabos. Sein Argument: "Zwei Drittel der Bevölkerung wollen die Regierung nicht mehr." Auch die FPÖ drängt auf Neuwahlen.

Die Grünen sehen nur eine Chance für den Wahltermin Herbst 2005: wenn die ÖVP den Landeshauptmann in der Steiermark verliert. "Dann werden Schüssel, Molterer und alle, die jetzt abwinken, dem Druck aus Ländern und BZÖ nachgeben müssen", spekuliert ein Grünen-Sprecher.

Alle Oppositionsparteien haben für den Wunsch, die Nationalratswahl mit den Landtagswahlen (Wien, Steiermark, Burgenland) im Herbst 2005 zusammenzulegen, ein Argument: Sie fürchten eine "Blamage" während der EU-Präsidentschaft. Und warnen, dass Jörg Haider die Koalition just dann sprengt.

Vorteil im Kanzlerduell

Die ÖVP hingegen betont, dass sie Wahlen während der Präsidentschaft nicht scheut. "Das ist nichts Besonderes, wenn auch nichts Wünschenswertes", gab Schüssel die Linie vor. Inoffiziell beginnen ÖVP-Strategen sogar, sich mit dem Wahltermin Frühjahr 2006 anzufreunden. "Das hätte den Vorteil, dass die Opposition nicht so attackieren kann", meint ein VP-Grande. Außerdem habe Schüssel als EU-Ratsvorsitzender prestigeträchtige Foto- und sonstige Auftritte als Staatsmann, damit im Kanzlerduell gegen Alfred Gusenbauer klare Vorteile – und bessere Wahlkarten als im Herbst 2006. Wenn also Haider sein Profilier-Heil in EU-Kritik suche, dann riskiere die VP Wahlen während des EU-Vorsitzes.

Offiziell werden diese Überlegungen von sich gewiesen. Sie haben auch einen Haken: Österreich hat heikle Themen zu betreuen – das EU-Budget, das eine Erhöhung der Beiträge für Österreich bringt, die Zitterpartie Verfassung und die Türkei-Verhandlungen.

Italien war 1996 das einzige Land, das während der Präsidentschaft wählen ließ. Das legte die EU weit gehend lahm – und die Regierung Lamberto Dini wurde abgewählt. Allerdings haben auch Wahlen gleich nach dem EU-Vorsitz Regierungen oft vom Chefsessel Europas auf die Oppositionsbank plumpsen lassen: etwa in Spanien oder Griechenland. Bedeutet doch ein EU-Vorsitz auch zähe Vermittlungsarbeit im Hintergrund, die Kanzler und Minister so eindeckt, dass sie für Wahlkämpfe kaum Zeit haben.

Bei allen Spekulationen gilt: Ohne Anlass werden die Wahlen nicht vorverlegt. Dann tritt ein, was die VP vielstimmig sagt: "Wir wählen im Herbst 2006." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.5.2005)