Genf/Kopenhagen/Arhus/Paris/Rom/Genf/Madrid/London/Den Haag/Prag - Zur Entscheidung der SPD-Parteispitze für eine Neuwahl zum Deutschen Bundestag schreibt die "Basler Zeitung" am Montag:

"Mit dem Rücken zur Wand sucht der Kanzler deshalb die Entscheidung: (Gerhard) Schröder hofft auf einen bundesweiten Trotz- und Verzweiflungseffekt, der die Wähler im Herbst wieder den Rot-Grünen in die Arme treibt. Zudem fürchtet der Bundeskanzler im Moment um seine eigene parlamentarische Mehrheit. (...) Der Schritt in die Offensive soll verhindern, dass sich diese Flügelkämpfe weiter verschärfen."

"Berner Zeitung"

"Die klare Abwahl von Rot-Grün zeigt auch, was die Deutschen derzeit von ihrer Regierung halten - nämlich fast gar nichts. Mit dem Rücken an der Wand sucht der Kanzler daher den Entscheid: Trotzkopf Schröder hofft auf einen Trotz- und Verzweiflungseffekt, der die Wähler im Herbst wieder den Rot-Grünen in die Arme treibt."

Tages-Anzeiger, Zürich

"Der Kämpfer Schröder setzt darauf, den Gegner so zu überrumpeln, dass das Gespann Schröder/(Joschka) Fischer am Ende doch nochmals triumphiert. Diese Rechnung aber dürfte kaum mehr aufgehen. Am Montag in einer Woche will die CDU die Kanzlerfrage entscheiden, und es ist klar, wie diese ausgeht: Die Siegerin des gestrigen Tages heißt Angela Merkel. Sie steht nun vor der herkulischen Aufgabe, die zerstrittene Union möglichst geschlossen in die Wahl zu führen. Gewonnen - und darauf setzt Schröder - hat sie diese noch nicht. Erst dann kommt die eigentliche Nagelprobe: der Beweis, dass die Union die besseren Rezepte für Deutschland hat."

"Information" (Kopenhagen)

"Gedemütigt, gefeuert, vor das Tor gejagt. Nach 39 Jahren an der Macht verloren die Sozialdemokraten jetzt die Macht im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen. (...) Kaum waren die ersten Prognosen veröffentlicht, teilte SPD-Chef Franz Müntefering mit, dass die rot-grüne Regierung in Berlin vorzeitige Wahlen anstrebt. Der Schachzug kam so unerwartet, wie er logisch ist. (...)

Durch vorzeitige Wahlen spielt Kanzler Gerhard Schröder den letzten Trumpf aus, der ihm noch geblieben ist. (...) Die Erfahrung zeigt, dass Schröder am besten im Gegenwind ist. Im Wahlkampf ist er in seinem Element. Und er hat sich einen kleinen Vorsprung vor der CDU/CSU gesichert, weil die Konservativen noch keinen Kanzlerkandidaten gewählt haben. Wer weiß, vielleicht ist die Aussicht auf einen Erdrutschsieg eine zu große Versuchung zum Beispiel für den Bayern Edmund Stoiber. (...) Kann er einen Machtkampf in der CDU/CSU beginnen, hat es Schröder wieder mal geschafft. Ansonsten erscheinen dessen Chancen minimal."

"Jyllands-Posten" (Arhus)

"Der Machtwechsel in Deutschland erscheint jetzt nur noch als Frage der Zeit. Nach der katastrophalen Wahlniederlage im wichtigsten Bundesland Nordrhein-Westfalen kann Bundeskanzler Gerhard Schröder sich darauf einstellen, dass auf die Niederlage in Düsseldorf die in Berlin folgt. Der Countdown läuft. (...) Dass die Wahlen wahrscheinlich in beispielloser Weise vorzeitig ausgeschrieben werden, bezeugt die dramatische politische Krise, in die die rot-grüne Berliner Regierung geraten ist. (...) Die Ohrfeige der Wähler fiel schallend aus. Selbst die hartgesottensten SPD-Wähler glaubten nicht daran, dass die Antwort auf Globalisierung und Internationalisierung im Zurückweichen auf größere Staatssteuerung und einen noch starreren Arbeitsmarkt als den schon jetzt dafür berüchtigten in Deutschland bestehen kann. (...) Europa wird in diesen Jahren immer bürgerlicher. Dass Deutschland nun auch auf dem Weg dorthin ist, stellt ein nicht zu übersehendes Signal dar."

Die französische Regionalzeitung "Dernieres Nouvelles d'Alsace" (Straßburg) schreibt am Montag über das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen:

"Nach dieser Niederlage in der historischen Hochburg der SPD zwischen Rhein und Ruhr blieb dem Bundeskanzler (Gerhard Schröder) nur die Flucht nach vorn. Durch die rasche Ankündigung von Neuwahlen schon für diesen Herbst sucht er eine neue Legitimation für seine Reformpolitik. Gleichzeitig setzt er die siegreiche CDU-Opposition unter Druck, die noch nicht auf einen großen Zweikampf vorbereitet ist. Es ist ein riskantes Spiel, doch dieser Paukenschlag zeugt auch von Format. Die Wähler schätzen Mut - auch Wagemut - eher als Drückebergerei. Es kommen unruhige Wochen auf Deutschland zu, aber des Kanzlers letzte Stunde hat noch nicht geschlagen".

La Repubblica

"Ausgerechnet in seiner vielleicht letzten strategischen Entscheidung hat der deutsche Kanzler sich wie ein wahrer Staatsmann verhalten, ein Wesenszug, den er zuvor nicht immer gezeigt hatte. Zwei Stunden nach der katastrophalen Niederlage in Nordrhein-Westfalen kündigte der Führer der Sozialdemokraten um ein Jahr vorgezogene Neuwahlen an. Denn dabei handle es sich um ein Jahr, das Deutschland sich nicht erlauben könne, zu verlieren, erklärt er. (...) Weil die sozialdemokratische Regierung anscheinend das Vertrauen der Wähler verloren hat, ruft sie die Bürger dazu auf, über die Zukunft Deutschlands zu entscheiden (...).

Der Vergleich mit den Geschehnissen in Italien liegt nah und ist bitter: Hier hat eine Regierung das Vertrauen verloren, klammert sich aber zum Hohn des Landes und dessen Bedürfnissen an ihren Sessel. Doch der wichtigste Punkt ist vielleicht ein anderer. In den wenigen Monaten seit Jahresanfang haben Spanien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland der politischen Klasse in Italien - rechts und links - einige Lektionen darüber erteilt, wie man eine moderne Demokratie in Europa führt."

Corriere della Sera

"Das ist keine Niederlage, sondern ein Zusammenbruch. Das ist kein heftiger Ruck, sondern ein Erdbeben. Das ist keine Dämmerung, sondern die tiefe Nacht einer Vormachtstellung, einer politischen Idee, vielleicht auch einer Regierung und eines Kanzlers. Jede Maske, jedes Alibi ist gefallen. Auch die Grünen, die bisher irgendwie die Misserfolge der SPD gedeckt hatten, werden vom Düsseldorfer Tsunami mitgerissen. Jetzt gibt es in Deutschland kein Bundesland mehr, das von einer rot-grünen Mehrheit regiert wird. Und jene, die noch in Berlin überlebt hat, scheint nur das leere Trugbild eines Projekts zu sein, das heute blutleer ist und kurz vor seiner Endstation steht."

Neue Zürcher Zeitung

"Für Schröder bedeutet die Wahlniederlage der SPD an Rhein und Ruhr einen vernichtenden Schlag. Rot-Grün ist im Bundesrat, der Länderkammer, nun weitgehend machtlos, und man tut sich schwer mit der Vorstellung, dass es dieser Regierung noch gelingen soll, weitere Reformen voranzutreiben. Wenn der SPD-Parteichef, Müntefering, nun also vorschlägt, noch in diesem Jahr Bundestagswahlen abzuhalten, so zeigt dies das ganze Ausmaß des Desasters. Die Handlungsfähigkeit der deutschen Regierung ist in der Tat auf ein pitoyables Minimum reduziert worden." ´

Zum Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen und den wahrscheinlichen Bundestagsneuwahlen in Deutschland im Herbst schreibt die linksliberale spanische Zeitung El Pais, Madrid

am Montag:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder befindet sich im Untergang. Das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen war absehbar, aber deshalb nicht minder vernichtend. Schröders Chancen auf einen dritten Wahlsieg sanken auf ein Minimum. Angela Merkel befindet sich im Aufwind und kann neue Hoffnung schöpfen.

Es ist zu erwarten, dass der Kanzler in seiner kämpferischen und opportunistischen Art nun seine Reformmaßnahmen abschwächt und sich den Wählern mit einem linken Programm präsentiert, um die Basis der SPD zufrieden zu stellen. Es darf bezweifelt werden, ob dies der beste Weg ist, die auf dem Land lastenden Übel zu beseitigen. Alles deutet auf ein Comeback der CDU hin. Für die Entwicklung Europas wäre dies allerdings nicht gerade vielversprechend."

The Guardian

"Schröders Chancen auf eine dritte Amtszeit sind wohl nur noch gering. Es ist zwar zu früh, ihn ganz abzuschreiben, aber es sieht danach aus, dass Deutschland eine neue Mitte-Rechts-Regierung erwartet, erstmals geführt von einer Bundeskanzlerin, der CDU-Chefin Angela Merkel. Die SPD hat die gestrige Landtagswahl verloren, obwohl sie in Peer Steinbrück den besseren Kandidaten hatte. Sein Herausforderer Jürgen Rüttgers hatte weder Steinbrücks Charisma noch seine Schlagfertigkeit. Dass Rüttgers dennoch gewann, deutet darauf hin, dass sich die Wähler von der Bundespolitik leiten ließen."

Financial Times

"Die wirkliche Botschaft des dramatischen Schrittes ist das Eingeständnis der Niederlage. Schröder und seine Regierung haben die Hoffnung verloren, dass ihre unternehmerfreundliche Politik der vergangenen drei Jahre die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen kann.

Als der Kanzler seine Agenda 2010 ankündigte, kalkulierte er, dass die Konjunktur nach einer kurzen Schmerzphase anziehen würde. Ein stärkeres Wachstum und eine dadurch bewirkte Abnahme der Arbeitslosigkeit würden dann seine Wiederwahl im Herbst 2006 garantieren. Doch stattdessen schwankt Deutschlands Wirtschaft weiter zwischen Rezession und Stagnation. Jetzt muss die SPD in aller Eile eine Strategie für die Wahl in nur vier Monaten zusammenzimmern."

de Volkskrant

"Seit ihrem Antreten im Jahr 1998 verbreitete die Regierung Schröder den Eindruck der Richtungslosigkeit. Ihre Ohnmacht im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit - von etwa zwölf Prozent - wird ihr offensichtlich zum Verhängnis. Niemand teilt mehr ihre Zuversicht, dass die Konjunktur in Gang kommt. Sogar die Zwischenbilanz der Arbeitsmarktreform, Schröders Paradepferd, ist vernichtend. Das Reformprogramm bringt keine Einsparungen, sondern Extrakosten (die für dieses Jahr mit zehn Milliarden Euro veranschlagt werden).

Ob eine CDU/FDP-Regierung mehr Tatkraft an den Tag legen wird, muss sich noch zeigen. Schröder hat jedenfalls Deutschland (und Europa) einen unschätzbaren Dienst erwiesen, indem er darauf verzichtete, sich noch ein weiteres Jahr lang durchzuwursteln."

Die britische Tageszeitung The Daily Telegraph

schreibt am Montag zu den vorgezogenen Neuwahlen in Deutschland:

"Das Ergebnis der Wahl, die als Testlauf für die nächste Bundestagswahl betrachtet wurde, wird weit über das Land hinaus Folgen haben und stellt praktisch die größte Umwälzung der politischen Landschaft seit fast zehn Jahren dar. Der Verlust von NRW ist ein starker Hinweis darauf, dass (Bundeskanzler Gerhard) Schröders Partei bei der nächsten Bundestagswahl abgewählt werden wird. Die CDU-Chefin Angela Merkel ist nun auf dem Weg ins Kanzleramt."

The Times

"Über Neuwahlen entscheidet nicht der Kanzler, sondern das Parlament, und Schröder wird die Parteiführung heute in einer Dringlichkeitssitzung davon überzeugen müssen, dass dies der richtige Weg ist. Die Panikreaktion in Berlin zeigt deutlich, wie tief die Niederlage (in Nordrhein-Westfalen) die Regierung getroffen hat. Sie wird Deutschland, die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, lähmen, bis Schröder ein neues Mandat für sein unpopuläres Reformprogramm gewinnen kann. Wenn man sich an der gestrigen Wahl orientiert, sieht es schlecht für ihn aus. Sein Mandat schmilzt dahin. Die Stimmung in Deutschland hat sich definitiv gegen den Kanzler gewendet."

"Republicain Lorrain" (Metz):

"Der Bundesrat ist heute völlig unter der Kontrolle der rechts-liberalen Opposition. (...) Kurzum, Schröders Boot sinkt weiter - und dies in einem Moment, wo seinem Freund (Jacques) Chirac ein bisher beispielloser Sturm droht. Klar ist jedenfalls, dass der deutsch-französische Motor bei einem Sieg des 'Nein' am Sonntag ins Stottern geraten würde. Die beiden Länder hätten dann nicht nur unterschiedliche Positionen in einer zentralen Frage ihrer Beziehungen, nämlich Europa. Ihre politischen Führer wären auch beträchtlich geschwächt."

"Mlada fronta Dnes" (Prag):

"In Deutschland hat ein politisches Erdbeben begonnen. Doch ist Gerhard Schröder ein Hasardeur, oder ist er ein Taktiker? Die Chancen der rot-grünen Bundesregierung, vorgezogene Bundestagswahlen zu gewinnen, sind zumindest aus heutiger Sicht mehr als schlecht. Vielleicht ist Schröder bereits zu müde, eine Politik zu machen, die eigentlich mehr dem Profil der CDU als der SPD entspricht.

Denn schließlich haben ihm seine radikalen Reformen keine Erfolge gebracht, sondern ihn Wähler und den SPD-Vorsitz gekostet. Der Bundeskanzler, der nach mehreren Kabinettsumbildungen schlicht keine personellen Alternativen mehr hat, steht mit dem Rücken zur Wand. Retten soll ihn nun die Flucht in Neuwahlen. Es scheint jedoch wahrscheinlich, dass damit nicht nur Nordrhein-Westfalen, sondern ganz Deutschland eine neue Regierung erhält." (APA/dpa)