Dieses Bild von wahrer Männlichkeit wird seit den 1990er-Jahren allerdings auch im Hollywoodfilm immer durchlässiger und variantenreicher: So ist etwa Johnny Depp in Jim Jarmuschs Westernpersiflage Dead Man aus dem Jahr 1995 nicht nur ein auffallend passiver Held, sondern wird durch die Kameraführung auch zum Sexualobjekt. Zwar habe es diesen erotischen Blick auf den Mann auch schon in früheren Filmen gegeben, die Helden wurden dabei aber meist in ihrer harten Männlichkeit gezeigt - mit muskelgepanzertem, nacktem Oberkörper wie etwa Sylvester Stallone als Rambo. Der (halb)nackte Männerkörper stand zudem meist in einem Gewaltzusammenhang - der Blick der Kamera richtete sich sehr oft auf einen kämpfenden oder gequälten Körper.
"Bei Dead Man ist das anders", sagt Rieser. "Hier kommt zum erotischen Blick auch noch die Passivität des Helden." Damit entsteht ein Bild von Männlichkeit, dessen Ästhetik zum Teil von jener der Homosexuellenszene beeinflusst wurde und das mittlerweile im Bereich der Werbung durchaus gängig ist. Dass die Filmhelden seit den 90er-Jahren im Vergleich etwa zu einem Schwarzenegger oder Stallone rein körperlich "weicher" und knabenhafter werden, habe laut Rieser "sicher auch mit PR-Strategien zu tun". Das Zielpublikum von Titanic beispielsweise sind vor allem weibliche Teenager - denen "fällt die Identifikation natürlich leichter, wenn der Held in etwa der gleichen Generation angehört. Und das funktioniert mit einem Leonardo DiCaprio vermutlich besser als mit einem klassisch männlichen Typ."
Jackie Chan, der weichere Held
Eine weichere Form von Männlichkeit verkörpert etwa auch Jackie Chan als einer der Helden im Film Rush Hour, einer Actionkomödie aus dem Jahr 1998. Während Asiaten in älteren Filmen oft als eher feminine Männer dargestellt werden, spielt Jackie Chan hier trotz seines weniger "harten" Aussehens und einer gewissen (durchaus traditionell asiatischen) Höflichkeit selbst in den Kampfszenen einen sehr männlichen Helden. Eines von vielen Beispielen für ein geändertes Männlichkeitsbild. Dennoch: Von einem klaren Richtungswechsel zu sprechen ist Klaus Rieser dann doch zu vereinfachend: "Zwar gibt es fluidere Bilder im Mainstream, parallel dazu existieren aber immer noch die alten Strukturen."
Ausgehend von seiner intensiven Auseinandersetzung mit der feministischen Theorie hat Rieser die Filme auch auf die jeweils angewandten Konzepte von Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit hin analysiert. Während das klassische Konzept - das die Filme der 50er- und 60er-Jahre noch weit gehend ungebrochen spiegeln - Männlichkeit und Weiblichkeit als scharf getrennte Bereiche darstellt, werden diese Kategorien mittlerweile immer mehr als sich überschneidende Variablen verstanden. "Das heißt im Filmkontext", erklärt Rieser, "dass es Figuren gibt, die gleichzeitig sehr weiblich und sehr männlich sein können - man denke etwa an Frank'N'Furter, den Transsexuellen in der Rocky Horror Picture Show oder an Brandon Teena in Boys Don't Cry. Diese Gleichzeitigkeit gibt es auch bei DiCaprio in Titanic, der zwar als aktiver Held auftritt, parallel dazu aber auch zum Blickobjekt gemacht wird."
Was allerdings nicht passiert, ist eine Entkoppelung von Männlichkeit und Macht. "Johnny Depp in Dead Man ist trotz seiner Passivität und Unentschlossenheit noch immer ein Westernheld und wird nicht als weiblich empfunden", ist Rieser überzeugt. "Hier wird sehr darauf geachtet, dass sich die Verschiebung des Männlichen auf die Passivität beschränkt und nicht als Homosexualität erscheint - der Held ist nach wie vor der good white guy. Wenn er schwarz oder schwul wäre, sähe die Sache anders, weniger systemerhaltend aus."