Bild nicht mehr verfügbar.

Die Schwulenszene hat sich ausdifferenziert – und hält doch an starren Identitätskonzepten fest.

Foto: APA/dpa/Ulrich Perrey
Die Zweiteilung der Welt in schwul oder nicht schwul kann so einfach sein. Da wäre jene Fraktion, die eher auf Eisberg-Salat (Heteros), und jene, die eher auf Rucola (Schwule) steht. Da sind die Pop-Liebhaber (Homos), und da sind die Rockdrosseln (Heteros), da sind jene, die Steak (ganz klar Hetero), und jene, die gegrilltes Hühnchen (Homos) bevorzugen. Fußball, keine Frage: eine Heterosportart. Wrestling dagegen ist eine ziemlich schwule Angelegenheit. Von klassischer Musik, Pudeln oder dem Burberry-Muster ganz zu schweigen.

Die Zweiteilung der Welt kann aber auch ganz schön schwierig sein. Wenn man zum Beispiel auf einen Hetero-Floristen trifft oder auf einen Visagisten, der auf Frauen steht, wenn ein Musical-Tänzer einmal keine Tucke oder ein Hetero-Macho ein Kylie-Minogue-Fan ist. Dass Jörg Haider oder Prinz Albert (anscheinend) nicht schwul sind, damit tun sich viele bis heute schwer. Guido Westerwelle dagegen dürfte einer der wenigen Schwulen sein, dem man sein Schwulsein nicht abnimmt.

Schwul oder nicht schwul, das ist noch immer mehr als eine von Stereotypen geprägte Orientierungshilfe. Erst recht, seitdem das weite Feld der Sexualität so unübersichtlich geworden ist, wie es noch nie war. Von Hetero- und Homosexualitäten spricht man bereits seit geraumer Zeit in den Wissenschaften, wohl wissend, dass auch solcherlei Kategorisierungen mitunter ein ziemlich einengendes Mäntelchen sind, die die prinzipielle Unterscheidung Homo und Hetero unangetastet lassen. Neosexualitäten hat der Frankfurter Doyen der Sexualwissenschaft, Volkmar Sigusch, in seinem aktuellsten Buch (Campus Verlag) die Fülle neuer sexueller Praktiken und Lebensweisen genannt. Sie lassen die alten Kategorien ganz schön alt ausschauen.

Für die Schwulenszene keine ganz einfache Sache

Nach Jahrzehnten des Kampfes um gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung ihrer Sexualität schwankt im Zuge der Ausdifferenzierung sexueller Lebensweisen plötzlich der Boden, auf dem die Bewegung steht. Was, wenn jene Form des selbstbewussten Schwulseins, die es erst seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gibt, bald auch schon wieder der Vergangenheit angehört? Was, wenn es Schwulen irgendwann zum Halse heraushängt, in erster Linie durch ihre Sexualität festlegt zu werden?

Ganz einfach, weil sich eine nachkommende Generation kaum mehr mit den herrschenden Bildern des Schwulseins (auch mit jenem Bild, das der Life Ball hinaus in die Wohnzimmer transportiert) identifizieren kann. Damit sind weniger jene Stereotypen der hysterischen Drag-Queens oder muskelbepackten Schönlinge gemeint, die an sie von außen herangetragen werden (sie sind in den meisten Fällen sowieso ein schlechter Witz), als jene, die sich die Community selbst zurechtgelegt hat: die Bilder einer homogenen, in sich autarken Gemeinschaft.

Lange war die Konstruktion einer relativ einheitlichen Szene ein in erster Linie politisches Mittel. Gay Pride, so das Schlagwort, war die Voraussetzung dafür, nach außen hin gestärkt auftreten zu können, um all jene Diskriminierungen zu bekämpfen, mit denen gleichgeschlechtlich Liebende tagtäglich konfrontiert wurden und teilweise auch noch werden. Gay Pride, das umschrieb auch jene Haltung, die die Szene in den Hochzeiten von Aids stärkte (und teilweise erst hervorbrachte). Differenzen zwischen den Schwulen passten da nicht ins Bild. Ebenso wenig, dass manch einer kein so großes Aufheben um seine Sexualität machen wollte. Sichtbarkeit, das war es, worum es den Schwulen jahrzehntelang ging. Sie war in erster Linie über die Betonung der Sexualität zu erreichen.

Die Unterschiede innerhalb der Gay Community wurden dabei ihrerseits wieder von einem Arsenal an Prototypen in Schach gehalten. Der Boots tragende Jeanstyp mit dem schmucken Schnauzer, der in den Achtzigern im Gay-Viertel von San Francisco, in Castro, entstand, der Lederkerl und die modische Gucci-Schwuchtel, der Schwulenskin der Neunziger oder der Typ braver Nachbarsjunge. Diese menschlichen Abziehbilder waren und sind weniger ein Spiel mit Identitäten (dessen subversives Potenzial wurde im Zuge der Queer Studies strapaziert) als eine Normierung der Szene selbst.

Die bunten, vielgestaltigen Lebenswirklichkeiten gleichgeschlechtlich liebender Menschen haben die starren Konstruktionen und Projektionen der Szene längst hinter sich gelassen. Von einer "Normalisierung" einer lange ziemlich aufgedonnerten Szene könnte man sprechen, hätte dieses Wort nicht in diesem Kontext einen unangenehmen Beigeschmack: "Normal" wollten die Schwulen schon immer sein, der schwule Heterotyp befindet sich in der szeneeigenen Hierarchie noch immer unangefochten an oberster Stelle, der effeminierte bzw. der transsexuelle Mann konsequenterweise an deren letzter. (Das war nicht immer so: Anfang der Achtziger war die Tunte etwa noch Ausdruck einer stark politisierten Identität.)

Samstag ist ein guter Tag zum Schwulsein...

..., behauptet das im Herbst im Berliner quer-Verlag erscheinende Buch des Autors Rainer Hörmann bereits im Titel, doch noch ist nicht klar, ob die Entwicklung hin zu einer Flexibilisierung des Umgangs mit der eigenen Sexualität nur positive Aspekte hat. Neben dem individuellen Vorteil der schnelleren Anpassung, der Aufhebung der Reduktion eines Menschen auf seine Sexualität, versiegt mit dieser Entwicklung auch ein historisches Bewusstsein, um das die Szene lange gekämpft hat. Das schmerzt vor allem jene, die den steinigen Weg der Durchsetzung von Homo-Rechten selbst gegangen sind, und verstärkt einen Generationenkonflikt, den es in der Szene bereits gibt.

Dieser hat zum einen mit dem in Schwulenkreisen besonders stark ausgeprägten Jugendkult zu tun, dann aber mit der sehr unterschiedlichen schwulen Sozialisation, die ein heute 20-, 40- oder 60-Jähriger durchlaufen hat. Diskriminierungen prägten ältere Generationen ungleich mehr, als das bei jüngeren der Fall ist, Aids spielte für jemanden, der in den 80ern schwul lebte, eine weitaus größere Rolle, als das heute bei schwulen jungen Männern der Fall ist.

Schwulsein, das ist heute häufig nur mehr eine Kategorie unter vielen, über die sich jemand identifiziert. Umso schlimmer, dass sich eine Gesellschaft daran gewöhnt hat, in den Kategorien hetero- oder homosexuell das Hauptmerkmal eines Menschen zu sehen. Die Dinge liegen etwas komplizierter, als die Einteilung der Welt in Eisbergsalat-Esser und Rucola-Liebhaber suggeriert. (Stephan Hilpold/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.05.2005)