Was Wunder also, wenn man sich - obendrein noch im heurigen Jahr der allgemein verordneten Betroffenheit - zum Import eines über jeden Einwand erhabenen Spitzenproduktes protokollarischer Trauer entschloss und Benjamin Brittens "War Requiem" zu einer, wenn auch nicht hinreißenden, so doch respektablen Aufführung brachte.
Da der hehre Zweck die Mittel heiligt, ist gegenüber der unüberhörbaren Tatsache, dass die Staatsoper akustisch wohl eines der weltbesten Musiktheater, aber deshalb noch lange nicht ein gleich guter Konzertsaal ist, ohnedies Amnestie angesagt.
Seiji Ozawa, der Musikchef der Wiener Staatsoper, gab sich mit sichtlichem Einsatz wohl alle Mühe, den Output von den in ein Kammerorchester und in eine Großformation aufgeteilten Wiener Philharmonikern, dem von Ernst Dunshirn einstudierten Staatsopernchor und den aus dem Off singenden Sängerknaben so abzumischen, dass die solistischen Interventionen - wenn auch erst nach und nach - zu hinreichend intensiver Wirkung kamen.
Denn von Anfang an bestach nur Ricarda Merbeth durch oratorische Klarheit, mit der sie im Wechselspiel mit dem Chor den lateinischen Texten beinah zu gleicher Eindringlichkeit verhalf wie Michael Schade und Thomas Quasthoff den von Britten in das Werk interpolierten Gedichten des im Ersten Weltkrieg gefallenen englischen Lyrikers Wilfred Owen.
So gelang Britten mit diesem, anlässlich der 1962 erfolgten Einweihung der nach der Zerstörung durch die Deutschen wieder erbauten Kathedrale von Coventry komponierten, Werk eine beklemmende Durchdringung zeitferner liturgischer Trauer mit kriegswunder Aktualität. Durch seine kompositorische Meisterschaft werden auch Owens Klagen über die Schrecken des Krieges zu zeitlosen Kunstgestalten.