Hybrider Statthalter von Selbstbestimmung und Freiheit
Um dieser - in neoliberalistischen Unzeiten umsomehr - wuchernden Dynamik feministisch Einhalt zu gebieten, muss viel nach-, mit- und vorgedacht werden. Der Eindruck, dass die gefakete Sprachvernutzung - Liberalismus als hybrider Statthalter von Selbstbestimmung und Freiheit - auch vor den Frauenbewegungen nicht halt gemacht hat, besorgt uns sehr - auch wenn wir selber mit dieser Unversorgtheit zu tun haben. Doch dieses soll nicht verzagt machen. Und nicht in und an einer global funktionierenden Anpassungsmaschinerie teil-z-nehmen, das wäre doch eine Möglichkeit. Am Beginn dieser selbst/kritischen Beschäftigung wider diese Welt als ein Geschäft mit Frauen als überbueschäftigten und unterbezahlten Waren, wollen wir von den konkreten Auswirkungen des uns vor die Nase und in die Zeit gestellten Systems ausgehen. Pre-care. Was für Analysen können wir finden, um die alltäglichen selbst/ausbeuterischen Auswirkungen wie Teilzeit, Versicherung, Armut, Doppelbelastung, Migration als Neosklaverei usw. usw. nicht nur zu erleiden und zu erdulden, sondern zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen?
Zu den Veranstaltungen
Vortrag und Diskussion
Gabriele Michalitsch, Ökonomin, Politikwissenschafterin
35 Prozent aller in Österreich erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit; sie stellen damit 85 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten. Teilzeitarbeit erleichtert zwar verstärkte Integration von Frauen in Erwerbsarbeit, verfestigt zugleich aber geschlechtsspezifische Spaltungen des Arbeitsmarkts und ungleiche Verteilung unbezahlter Versorgungsarbeit. Der Vortrag untersucht diese Ambivalenz im Kontext neoliberaler Transformation von Arbeitsmärkten und sozialen Sicherungssystemen und diskutiert notwendige Rahmenbedingungen, soll Teilzeitarbeit einen Beitrag zur Überwindung geschlechtlicher Arbeitsteilung leisten.
Moderation: Miriam Wischer
Workshop
Lisbeth N. Trallori, Soziologin
Ausgangspunkt dieses Workshops bildet die krisenhaften Entwicklung der
"entfesselten" Marktwirtschaft: Millionen von Menschen sind von Sozialdumping,
Niedriglöhnen, Teilzeitjobs oder Erwerbslosigkeit betroffen. Was bedeutet dies nun
für Frauen in den Ländern des Zentrums, sowie in jenen der Peripherie?
In welchem Ausmaß trifft sie die zunehmende Prekarisierung, wie verändern sich
ihre Lebenslagen und was sind ihre Gegenstrategien?
Welchen Stellenwert hat die weibliche Existenz insgesamt im neoliberalen Projekt?
- Das sind die zentralen Fragen.
Vortrag und Diskussion
Gerlinde Mauerer,
Sozialwissenschafterin
François Ewald beschreibt in "Der Vorsorgestaat" (1993) den Beginn der
Versicherungsgesellschaft im Zuge der Industrialisierung: zunächst galt es,
unvermeidliche Unfälle zu vergelten. Krankheit (Krankenversicherung),
Alter (Pensionsversicherung) und Tod
("Lebensversicherung" - begrifflich eine "Ironie des Schicksals"?)
sind heute zu versichern.
Die Kategorie Geschlecht zeigt sich deutlich: Frauen bringen durch Arbeit
einen Mehrwert ein, der oftmals jenseits von Versicherungsverhältnissen liegt:
durch unbezahlte Pflegearbeit, schlecht dotierte und prekäre Arbeitsverhältnisse,
Patchwork-Arbeiten ohne Absicherung u.v.a.m.
Ergebnisse einer Daten- und Kostenrecherche zum Thema Frauen,
ihren Leistungen und Versicherungsleistungen werden im
Vortrag präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Moderation: Andrea Strutzmann
Lesung und Vortrag und Diskussion
Christa Nebenführ, Philosophin, Schriftstellerin
Die Vereinbarkeitshindernisse von privater Reproduktionsarbeit und Lohnarbeit nur
als Auswirkungen patriarchaler Machterhaltungsstrategien zu postulieren, negiert
konkrete Erfahrungen und tabuisiert intrageschlechtliche Dominanzstrategien.
Und es verschleiert den Blick für die verschärfte Entfremdung von Proletarierinnen,
wenn der Zwang zur Fabriksarbeit und die Freiheit zur qualifizierten Karriere unter
dem Begriff Gleichberechtigung subsummiert werden.
Die Bourgeoisie hat längst erkannt wie leicht sich pseudo-feministische Argumente
instrumentalisieren lassen und die Linke scheint die Aufklärung darüber zu vermeiden,
um bewährte Parolen nicht zu gefährden.
Oder verkürzt: Federn Kindergeld und Dienstleistungsscheck die brutalsten
Auswirkungen einer weiblichen Lebensrealität ab oder verfestigen sie diese?
Unzeitgemäße Betrachtungen zu Ideologie und Praxis von Vereinbarkeitskonzepten.
Moderation: Edith Futscher
Workshop
Cristina Boidi (LEFÖ),
Meltem Wailand (Orient Express),
Jale Akcil und Birge Krondorfer (Frauenhetz)
Die unter- und unbewertete Arbeit von Frauen ist heute für die fortgeschrittene
Frau (doch wohin schreitet sie?) nur scheinbar aufgehoben: für sie selbst, wo auch
gerade sie steht, und - das ist das neue (alte) - für die so genannte andere,
die subordinierte Frau, die Migrantin, die, weil sonst für sie nichts übrig ist,
die 'Drecksarbeit' zum Überleben macht.
Dies rekonstituiert nicht nur ein 'neokoloniales Substrat des neuen Europa'
(aus: Haushalt Caretaking, GrenzenŠ Rechte von Migrantinnen und Vereinbarkeit von Beruf und Familie),
sondern produziert auch die eine und die andere Frau (diesmal im Negativ).
Und er - ja er hat somit zwei und auch drei Frauen (je nach Sexarbeitsbeanspruchung)
- und dies im monogamen Abendland! Viele Fragen wider das Betteln.
Vortrag und Diskussion
Frigga Haug, Soziologin,
Mithg. der Zeitschrift Argument
Auch wir sind Produkte dieses neoliberalen Kapitalismus, können individualistisch im
negativen Sinn sein: konkurrierend, kleinlich, neidisch. Und wie hängt dies damit
zusammen, dass nach wie vor jeder Bereich, ob Politik, Moral, Arbeitsteilung, Gesetzgebung,
Sexualität, Kultur, Sprache einer patriarchalen Allgegenwart einverleibt ist?
Die Geschichte zeigt aber auch, dass wir uns durch keine noch so hegemoniale Lage
in die Defensive treiben lassen dürfen. Auch wenn diese kapitalistische Dynamik schneller
zu sein scheint als unsere gemeinsamen Strategien und unser Nachdenken über Alternativen
- um so mehr ist Geistesgegenwart gefragt - für die eigenen Widersprüche und die ökonomische
und mediale Vermarktung unserer Emanzipationshoffnungen.
Der Protest gegen den globalen Privatisierungsprozess darf nicht den Blick auf die Utopie einer
feministischen Internationale vernebeln.
Moderation: Birge Krondorfer
Vortrag und Diskussion
Gerburg Treusch-Dieter, Soziologin
Wie könnte das Verhältnis von Geschlechterdifferenz und Arbeit heute
beschrieben werden? Müssen wir uns als simulierende Arbeitsmännchen
- flexibel und mobil, informiert und interagierend jenseits von Produktion
und auch Reproduktion - betrachten? Und: Ist der Preis für Arbeit noch
zu bezahlen? Gerburg Treusch-Dieter zeichnet die Verwandlung von Arbeit,
einst verflucht und mythisiert, in Dienst nach, in eine Unterwerfung unter
jedwede Arbeit, die selbst Ware geworden ist. Ausgehend von der Beobachtung,
dass gegenwärtig Arbeit durch das Fehlen von Arbeit entsteht und dass Bildung
wie Beratung somit auch als Anleihen auf (Leih)Arbeit zu erstehen sind,
wird die Entwicklung des westlichen Arbeitsbegriffs befragt.
Moderation: Andrea Strutzmann
(red)