Dass man den Gürtel auch mal weiter schnallen muss, um die Bewegungsfreiheit nicht zu verlieren, ...

Foto: Designer

... sah Christian Lacroix bei der Konzeption der exklusiven "Blaumänner" für die Air-France auf Anhieb ein.

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Der interessierte Rechner möge sich bitte sofort zum Flugsteig begeben, um folgenden Vergleich zu verstehen: Wer von Wien nach Paris fliegt, hat ziemlich exakt eine Distanz im Gegenwert von einer Million Laufmetern Stoff hinter sich gebracht. Nur dem sehr ambitionierten Hobbyschneider sei gesagt, dass sich daraus 36.000 schnittige Uniformen für eine Fluglinie herstellen lassen, das sind 650.000 Einzelteile.

Als die Air France in einem ersten, lockeren Gespräch an Christian Lacroix herantrat, war der Couturier zwar sofort von der Idee begeistert, an der Identität des europäischen Fluglinienpioniers mitbasteln zu können, aber dennoch dürfte er einige "Flugangst" gehabt haben. Stellt sich doch bei der Kreation von Arbeitskleidung - und das ist die Kollektion in diesem Fall ja zweifellos - die Frage, wie man auf dem schmalen Grat zwischen eleganter Extravaganz und Zweckmäßigkeit balancieren kann. Zunächst war also durchaus auch Hemdsärmeligkeit gefragt.

Balanceakt zwischen Extravaganz und Praxis

Als sich die Jury aus Führungskräften und Praxis-Profis, also Uniformträgern, für die Skizzen von Lacroix entschieden hatte, konnte sich der Designer vorerst eine Zeit lang als Soziologe und Arbeitsplatzergonomiker den Anforderungen nähern. Das Bodenpersonal mit häufig wiederkehrenden Bewegungsabläufen hatte freilich andere Ansprüche als die Flugbegleiter und die Piloten, die unter Umständen mit schnell wechselnden Klimabedingungen zu kämpfen haben.

Andererseits sind mit dieser Dienstkleidung natürlich auch besondere Inhalte zu transportieren: Als Französische Fluglinie hat man's hat ungleich schwerer, auf die langjährige Tradition als "Carrier" eines Haut-Couture-Erbes, eine adäquate Antwort anbieten zu können. Praktisch muss es also sein und trotzdem sollte das Erscheinungsbild nach außen Bände sprechen können: Die Zusammenlegung verschiedener Fluglinien und damit auch Identitäten ist optisch zu verhandeln, die veränderte Struktur der Air France selbst, die immer mehr internationale Fluggäste an Bord begrüßt und letztlich auch das Defilé der Kollektionen der letzten siebzig Jahre.

Von 1946 bis 1987 stattete die Air France ihre Mitarbeiter in relativ kurzen Abständen, wenn schon nicht mit immer ganz neuen Uniformen so doch mit neuen Accessoires ständig neu aus, oft blieben die Beiträge von Christian Dior, Nina Ricci oder Pierre Cardin nur für eine Saison "State of the Art" oder in neuen Kombinationen noch etwas länger in der Luft hängen. Seit 1987 jedoch gab es keine nennenswerten Adaptionen des Markenauftrittes der Airline, im Wortsinn keine neuen Stoffe.

Lacroix-Einbettung

Es lag nahe, die Präsentation der neuen Linie aus dem Hause Christian Lacroix, welches übrigens ebenfalls seit 1987 besteht, eng in eine Geschichte der Air-France-Uniformen vergangener Jahrzehnte einzubetten. So wurde der Laufsteg zum Förderband, auf dem die markantesten Akzente der 40er bis 90er am Rezensenten der Passagierfluggeschichte vorbeisausten. Das Ergebnis ist zusammenfassend in einem Booklet der Fluglinie nachzublättern, die unglaubliche Reise in verrücktere Zeiten machte Lacroix die Präsentation aber nicht unbedingt einfacher.

So einfach wie möglich aber wollte man es den Trägern der vorwiegend dunkelblauen Repräsentanz "französischer Eleganz mit Weltoffenheit", wie es Lacroix nannte, machen. Man entschloss sich, 31.000 Mitarbeiter zu vermessen, um sowohl eine eigentlich zu erwartende Prêt-à-Porter-Optik zu vermeiden als auch langwierige und kostspielige Änderungsschneiderei. Im Rahmen der für Uniformen üblichen Tragebestimmungen, bleibt es auch den Mitarbeitern überlassen, wie sie ihre Garderobe zusammenstellen, also mit welchen Steinen aus dem Baukastensystem sie ihre Fassade aufbauen.

Im Sinne der Sache war es daher, dass Lacroix sich nicht zierte, das eine oder andere Gürtelschlauferl wegzulassen, wenn sich herausstellte, dass die Flugbegleiterin vielleicht damit am Klapptisch hängen bleiben könnte. Denn die Sicherheit im Luftraum wird hat Vorrang, die verschärfte "Luftraumüberwachung" sieht sogar vor, dass die alte Uniform und damit eine Ära abgegeben werden muss und vernichtet wird. (Sascha Aumüller/Der Standard/rondo/20/05/2005)