Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/DPA/Jörg Vogelsänger

Jeden Vormittag hockt Pedro Pérez auf einem hellblauen Holzstuhl im weichen Sand, trinkt seinen Kaffee und schaut hinaus auf den Ozean. Über seinem Kopf ist als improvisiertes Dach ein Fischernetz auf Stelzen gespannt. Früher saß Pedro um diese Zeit oft allein dort, manchmal zusammen mit ein paar Freunden.

Heute hat er immer öfter Gesellschaft von Fremden, von Strandspaziergängern, die in "seinem" Café in Conil de la Frontera Station machen. Er hat Besuch von Urlaubern, die nun wie er die Füße in den warmen Sand stecken, dabei den Wind spüren und gleichzeitig Richtung Afrika schauen möchten - und nebenbei einen Café Cortado trinken.

Diesen Vormittag ist es ein wedelnder Hund, der zwischen den Tischen im Café "Fontanilla" in Conil kurz schauen kommt, wer es denn dort gerade genauso toll findet wie er, ehe er wieder zum Spielen in den Wellen verschwindet. Anderswo in Spanien ist so etwas Vergangenheit - an der Costa de la Luz gibt es solche Cafés im Sand noch.

Und einsame Strände, endlos lang, ewig breit, mit Dünen und ohne Hotels: Der Tourismus an den über zweihundert Kilometern dieser "Küste des Lichts" zwischen Gibraltar und der Grenze zu Portugal konzentriert sich bislang auf wenige Zentren. Abseits davon sind es noch immer unausgeschilderte und oft schlaglochübersäte Stichstraßen, die ans Meer führen. Sie brauchen nicht asphaltiert oder ausgebessert zu werden, weil noch keine Busse zu den Stränden am Ende dieser Pisten unterwegs sind.

An der menschenleeren Playa de El Palmar steht diesen Nachmittag ein Pferd am Rand der Dünen und frisst Strandhafer - ohne Sattel, ohne Zaumzeug. Irgendwer aus dem Dorf wird es dort geparkt haben. Dreihundert Meter weiter wartet eine verwaiste Eisbude - geöffnet nur von Juli bis Anfang September, wenn vor allem Spanier aus dem Norden hier sind, die die Costa de la Luz bereits als sommerliches Ziel für den Inlandsurlaub entdeckt haben und manches fast verlassene Fischernest, manchen Strandabschnitt für ein paar Wochen aus der Stille katapultieren und zur Partyzone verwandeln.

Am schönsten ist es in der Nebensaison

Am schönsten aber ist es in den vielen Monaten der Nebensaison, wenn es leer ist entlang der weiten Küste, der Wind die Dünen nach Lust und Launen neu sortiert und den salzigen Geschmack der Seeluft mit dem Duft der Orangen-, der Zitronenplantagen und der Erdbeerfelder des andalusischen Hinterlandes verquirlt.

Und immer spielt das Licht hier eine besondere Rolle. Wenn es nicht das der Sonne ist, dann das des Mondes, das der in der Nacht vorbeifahrenden Schiffe in der Meerenge zwischen zwei Kontinenten oder das der Lichterkette aus Dörfern am Ufer drüben in Afrika.

Alles Licht spiegelt sich in den Wellen, in den Dünen zwischen den Pinien und in den Fassaden der weißen Dörfer. Es ist außergewöhnlich hell, und es scheint, als ob es stärker reflektiert als anderswo. Manche Urlauber kommen wegen dieses besonderen Lichts, die meisten wegen der Strände, einige wegen des Windes.

Der bläst viel stärker als an der Mittelmeerküste und schafft optimale Bedingungen vor allem für Wellenreiter und Kite-Surfer, die hier zwischen den Dünen ihre Lenkdrachen präparieren, in deren Sog sie wenig später auf Brettern übers Meer rauschen.

Aus ganz Europa reisen sie an, fahren mit ihren Wohnmobilen bis direkt an die Strände vor allem zwischen Tarifa und dem Cabo de Trafalgar und campen im Sand. "Nach Hawaii kommst du mit dem Auto nicht", lacht einer mit dänischem Nummernschild am Wagen. "Deswegen sind wir zum Surfen hierher gefahren. Der einzige Unterschied ist, dass du hier eine Schaufel brauchst und auf Hawaii nicht."

Er lacht wieder und schaufelt die Hinterräder seines VW-Busses frei. Wind und Sand versuchen in den nächsten Stunden erneut, die Stichstraße zum Leuchtturm von Cabo de Trafalgar bei Caños de Meca zu verschlucken, auf der der Däne parkt. Und der wird wieder schaufeln müssen . . .

Außerhalb der Saison stört sich niemand daran, wenn dort die Wohnmobile und VW-Busse die Nacht über stehen - obwohl Camping am Strand offiziell verboten ist. "Wenn einer was sagen sollte, fahren wir Richtung Punta Paloma weiter. Dort gibt's einen offiziellen Campingplatz mitten in den Dünen." Der Däne zuckt mit den Schultern, grinst und stapft mit seiner Ausrüstung Richtung Wasser.

Es wird keiner etwas sagen, nicht am Cabo de Trafalgar oder in El Palmar, nicht an der Playa de los Lances bei Tarifa. Publikum haben die Kite-Artisten unterdessen auch in der Nebensaison. Ein paar Schaulustige kommen immer und machen das Halbrund der Dünen zur Zuschauertribüne - mit viel Platz für Picknick und Sonnenbad während der Wellenreiter-Show.

Ein paar Kilometer weiter, in Caños de Meca, haben sich Hippies niedergelassen - viele von ihnen schon vor dreißig Jahren. Sie sind geblieben, weil sie ihr Paradies am Ende einer Sackgasse gefunden haben und das ewige Konzert der Wellen aus Hängematte oder Korbsessel weiterhin ungestört verfolgen können. Die Küstenstraße knickt ein paar Hundert Meter zuvor ins Hinterland ab.

Manchmal kommen die Hippies...

... freiwillig aus ihrem Rückzugsort hervor - dann, wenn sie auf dem Sommermarkt von Conil de la Frontera Kunsthandwerk an die Fremden verkaufen und zuvor eine Café Cortado auf einem himmelblauen Holzstühlchen im Sand trinken und ein bisschen mit Pedro Pérez plaudern möchten.

Lange vor Hippies und Surfern, vor Pedro und den Urlaubern waren es bereits die Römer, die den Reiz der Region erkannt haben. Im 2. vorchristlichen Jahrhundert errichteten sie ihre Stadt Baelo Claudia nahe der heutigen Ortschaft Bolonia. Die Neugründung brachte es schnell zu Wohlstand und entwickelte sich zu einem Drehkreuz für den Seehandel mit dem westlichen Nordafrika.

Übrig geblieben sind ein paar Mauern, ein paar Säulen, einige Mosaike. Und übrig geblieben ist der Blick von der Terrasse des Kapitoltempels über den Strand aufs Meer bis hinüber nach Afrika. Nichts ist im Weg, nichts hat die Aussicht verändert während der vergangenen 2000 Jahre. Nur die nächtlichen Lichter drüben in Afrika sind mehr geworden. Und der Café Cortado ist hinzugekommen. Den kannten die Römer noch nicht. (Der Standard/rondo/20/05/2005)