Wien - Damit auch an dieser Stelle einmal eine sonst weit gehend in einem Paralleluniversum mitten unter uns lebende zeitgenössische Erscheinung berücksichtigt wird: Entgegen landläufiger Vorstellungen beschäftigen sich die harten und härtesten Bereiche der gemeinhin als Bindestrich-Metal bezeichneten Musik zwischen, Heavy-, Death-, Speed-, Trash-, Doom-, Dark-, Black- und Tech-Metal nicht nur mit nordischen Göttern, pubertären Allmachtsfantasien oder möglichst exakt zur höheren Ehre Satans im 16/7-Takt kreisrund geworfenen Haarteilen.

Spätestens seit Metal in Kombination mit dem immer schon mehr auf (gesellschaftliche) Ursache als auf (akustische) Wirkung bedacht legenden Industrial-Sound auch auf von Punk und Hardcore kommende und mehr an gesellschaftlichen Problemstellungen als an Elternerschrecken interessierte Musiker eine Faszination auszustrahlen begann, erfreut sich dieser sehr, sehr ernsthafte Stil alle Jahre wieder beeindruckender Innovationsschübe.

Mit Jesu und Isis gastierten diesbezüglich trotz medial nur schütter auftauchender Ankündigungen vor einem vollen Haus in der Szene Wien jetzt zwei der diesbezüglich zweifellos führenden Kräfte.

Synapsen schneiden

Jesu, das aktuelle Projekt des britischen Gitarristen Justin K. Broadrick, führt dabei eine lange Tradition dieses Säulenheiligen des Genres fort, die er Ende der 80er-Jahre mit Napalm Death begann und seither mit wechselnden Formationen wie Godflesh, Techno Animal oder Ice fortführt. Kalte, die Gehirnsynapsen schneidende Sounds der Entfremdung, großteils erzeugt auf elektronisch bis zum Herzflimmern verfremdeten, mahlenden und sägenden Gitarren werden mit brutalen Computer- und Schlagzeug-Beats in Kompressionskurven gejagt.

Sie wollen die Welt als feindlichen Ort (Antihuman!) dadurch besser machen, dass diese erst einmal bloßgestellt wird. In all ihrem Grauen wird Welt sozusagen dokumentarisch abgebildet, der Schreckensfaktor verdichtet. Unser Planet, ein erkaltender Stern, von dem einst dort draußen im Weltall nur ein großes weißes Rauschen von sich überlagernden Frequenzen aus dem Höllenschlund der elektronischen Informationskanäle übrig bleiben wird.

Gegen jede Chance, wider bessere Vernunft und ohne (Selbst-)Mitleid wütet Broadrick hier auch live mit Bassist und Schlagzeuger in gut zehnminütigen Soundblöcken schließlich gegen sich selbst. Wenn er den Rest Menschlichkeit und Barmherzigkeit zwischen schwer im Magen und auf der Seele lastenden Lärmbrocken am Ende doch mit filigran über Computerrauschen verhallt gezupften Gitarrenklängen aus sich und uns herauslocken will. "I'm tired of me!", gurgelt es erstickt aus einer Lawine. Keine Rettung in Sicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Literarisch besser unterfüttert gehen es Aaron Turner und sein US-Quintett Isis an. Der junge Mann aus gutem Hause legte sein Vermögen nicht nur in einem eigenen Label namens Hydra Head Records an, auf dem er jetzt auch die CD von Jesu veröffentlichte. Panopticon, das aktuelle Album der Band, verhandelt auch explizit die modernen Kommunikationstechniken und ihre totalitären Züge auf den Grundlagen von Michel Foucaults Studie Überwachen und Strafen aus 1973.

Dass die Ergebnisse dieser Trauerarbeit zwischen härtesten Metal-Riffs, gut gebrüllter wie begründeter Paranoia und nackter Gewalt nicht so schnell eintönig werden wie zuvor bei Jesu, liegt daran, dass Isis zwischendurch nicht nur mit guter alter Lautleise-Dynamik arbeiten. Um die Wucht zu erhöhen. Isis verlegen in den vielschichtigen Kompositionen zwischendrin auch atmosphärische Soundteppiche aus der Flokati-Sammlung des Keyboarders von Pink Floyd. Und sie suchen den Anschluss an die zeitgenössische Elektronik.

Unter anderem ließ man sich jetzt mit phänomenalem Ergebnis auf Oceanic Remixes auch vom Wiener Christian Fennesz nachbehandeln. Bis dato das intensivste Konzert des Jahres! (Christian Schachinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 5. 2005)