Otto M. Zykan fühlte sich von amtlicher Gratulationspost zu seinem 70. belästigt ("Huldvoll gelangweilt" , STANDARD, 10. 5.)

Sehr geehrter Herr Zykan! Um gleich zu Beginn einen Ihrer Kollegen zu zitieren: Tradition ist Schlamperei. Arnold Schönberg hatte durchaus im Sinn, den Staub und die Trägheit von Institutionen und Einrichtungen in Wort und Ton hinwegzufegen, und verfasste prompt seine neue musikalische Lehre. Auch für die Kunst und ihre Entwicklung ist dies unerlässlich, denn wo stünde sie sonst? Und Kulturpolitik, wie Politik überhaupt, muss gleichfalls ein Wille zur Erneuerung innewohnen. Diesen hat die Stadt Wien in der Vergangenheit wohl auch dadurch bewiesen, dass sie einen großen Neuerer wie Sie mit Preisen ausgezeichnet hat.

Wie schade allerdings, dass mich jetzt Ihr persönlicher Unmut ausgerechnet über ein ehrlich gemeintes Geburtstagsschreiben trifft. Es ist zwar wahr, dass wir uns persönlich nicht kennen, aber dies sollte keinesfalls den Schluss Ihrerseits zulassen, mir sei Ihr Werk unbekannt. Zumal es meines Erachtens nicht nur selbstverständlich wäre, sondern in der Natur der Sache liegen sollte, dass der Kulturstadtrat ein lebendiges Interesse an Werk und Arbeitsbedingungen wichtiger Künstler zeigt und ihnen Wertschätzung und Höflichkeit entgegen bringt.

Sehr geehrter Herr Zykan, ich mag dieses Amt noch nicht lange bekleiden, nicht so lange, wie Sie als Künstler wirken. Vielleicht ist mir deshalb neu, dass auch das ausdrückliche Unterlassen von Glückwünschen als Akt der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen angesehen werden kann. Ich jedenfalls freue mich über Geburtstagswünsche. Aber ich gebe Ihnen recht: Die Annahme, dass dies auch auf andere zutrifft, ist offensichtlich manchmal unzutreffend. (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15./16.5.2005)