STANDARD: Können Sie das an einem Beispiel beschreiben?
Menasse: Ich war in Österreich auf Lesereise und treffe Bekannte im Zug, und es geht sofort wieder um Haider. Das war noch vor dieser Spaltung, und ich habe eingewendet, dass es in Deutschland ein NDP-Problem gibt - die sagen Sachen im sächsischen Landtag, da zieht's einem die Schuhe aus. Und die schauen mich an - dann ist kurz Pause - und fangen wieder von Haider an. Als hätten sie mich nicht gehört, als berühre sie das nicht.
STANDARD: Haider ist ja mit den Ortstafeln wieder aktuell . . .
Menasse: Das ist ein Skandal, aber der wird in Österreich nicht so empfunden. Die dünne Schicht intellektueller Kommentatoren schreibt das ab und zu. Aber es ist ja kein drängendes Problem, nicht einmal dem Bundeskanzler.
STANDARD: Sind die Deutschen wirklich so anders als wir?
Menasse: Die sind schon anders. Deutschland ist so ein weites Land, da ist so viel drin, die Leute sind so unterschiedlich. Wahrscheinlich, weil viel mehr da sind. Die haben viel mehr Ahnung von der Welt - da denke ich, die Österreicher sind schon sehr im eigenen Sud. Ich glaube, die österreichische Identität hängt davon ab, wie sie sich zu den Deutschen definieren. Das antideutsche Ressentiment zieht sich ja durch alle Schichten. Selbst der gebildetste Österreicher denkt in einem Winkel seines Herzens - ich ja auch - dass bestimmte Sachen in Österreich besser sind.
STANDARD: Bis in die 60er-Jahre fühlten sich viele Österreicher noch sehr deutsch!
Menasse: Ich glaube, dass Identitäten lange nachleben. In den 60er-Jahren, als Heimito von Doderer seine letzten Romane schrieb - da war immer noch die Identität des k.u.k. Reichs drin. Diese Idee, dass man nach Kroatien, Slowenien, Belgrad und Bukarest reisen kann und noch in seinem eigenen Einflussbereich ist. Das ist langsam gewichen, und dann war da eine Leerstelle, und da hat sich dieses reduzierte Land nur irgendwie an Deutschland anhängen oder andenken können.
STANDARD: Völlig deckungsgleich mit seinem Land fühlt man sich nie - was finden Sie herausragend an Österreich?
Menasse: Da fallen mir zuerst Klischees ein: die Lebensqualität und die Landschaft. Faszinierend ist dieses Österreich als Kraftwerk, gerade was Literatur betrifft: Bernhard, Jelinek - alle wenden sich dagegen und arbeiten sich irrsinnig daran ab. Es gibt kein anderes Land, wo sich die Leute in ihren Selbstreflexionen so mit diesem Selbsthass beschäftigen, geradezu darin suhlen. Ich reagiere da manchmal allergisch und sage: Ja, wir halten uns für was Besonderes, auch im Negativen. Dabei gibt es überall kleine Länder, die Probleme und unbewältigte Vergangenheiten haben. Man braucht sich nur umschauen, nach Tschechien und Polen. Nur: Niemand hasst sich selber so.