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Seit geraumer Zeit muss Karl-Heinz Grasser mit dem Gefühl leben, als wirtschaftspolitischer Vordenker nicht angemessen gewürdigt zu werden. Genau genommen, seit er dieses Amt ausübt. Und sein Gefühl trügt ihn nicht, was schmerzen kann. Denn auch er hat Gefühle, was bei einem Finanzminister in der Ära des Neoliberalismus zwar nicht gerade als oberste Tugend gilt, in einer Ära wachsender Gleichberechtigung aber auch keine Schande mehr ist. Es war daher hoch an der Zeit und richtig, ein emotionales Upgrading in die Wege zu leiten, um sich für die Aufgaben zu wappnen, die ihn in der ersten Hälfte des nächsten Jahres wider Erwarten vielleicht doch erwarten.

Nicht, dass er es bisher daran hätte fehlen lassen, dem Grundsatz "Mehr privat, weniger Staat" zum Durchbruch zu verhelfen. Aber es ist natürlich nicht dasselbe, ob man diese Aufgabe an eiskalte Institutionen wie die ÖIAG delegiert oder ob man die wertvollsten Anlagen heißblütig im persönlichen Einsatz verschleudert. Längst war daher das ultimative Comingout fällig, soll die Parole vom öffentlichen Nulldefizit in den Augen des Volkes nicht zum Synonym für jene private Gefühlsarmut degenerieren, die angeblich wahlentscheidende Schwiegermütter wenig schätzen.

Die Hinwendung zu "Mehr privat" über das trocken Programmatische hinaus hat sich lange angekündigt. So als es galt, die Kosten für die Homepage vom Staat weg- auf eine karitative Organisation überzuwälzen. Zu früh! Damals war die Öffentlichkeit noch nicht reif für die neuen Wege, die ein Finanzminister heutzutage beschreiten muss, und Grassers Internet-Auftritt als privates Baby wurde gründlich missverstanden - ein Ausdruck der Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft.

Und jetzt - nach einem noch halböffentlichen Verlobungsprobelauf mit einer volontierenden Mitarbeiterin seines Ressorts - endlich der öffentliche Durchbruch des Finanzministers als Privatier! Mit viel Sensibilität in homöopathischen Etappen vollzogen - erst Flughafen in Paris, dann Shopping in New York und schließlich Gänsehäufel auf Capri: Das macht ihm kein Finanzminister eines noch so mächtigen Staates nach! Prompt stellt ihn das deutsche Intelligenzblatt dem eigenen Finanzminister als leuchtendes Beispiel vor Augen, und andere Medien werden ihm folgen. Wenn die fotografische Dokumentation seiner internationalen Auftritte auf ausländische Investoren nicht eine geradezu erotische Anziehungskraft ausübt und sie in hellen Scharen herbeilockt, dann ist den Vertretern des Heuschrecken-Kapitalismus nicht mehr zu helfen.

Typisch für Fossile der österreichischen Neidgesellschaft, dass sie Grasser als Motiv seines persönlichen Einsatzes nicht Leistungsbereitschaft bis zur Selbstaufgabe unterstellen - Ein guter Tag beginnt in der Badehose! -, sondern Amtsmüdigkeit. Absurd! Schon wird über sein Casino-Leben danach spekuliert, schon werden Nachfolger gehandelt, obwohl keiner der Gehandelten im Badedress eine auch nur ähnlich verantwortungsbewusste Figur machen würde wie er. Vom Amtsvorgänger ganz zu schweigen, der politische Botschaften noch steinzeitsozialistisch per Krawatte transportierte.

Wie subtil staatsmännisch hingegen die grünen, dunkel getupften Bermudas, in denen Grasser eine Zukunft nach Schwarz-Orange-Blau erahnen ließ. Was könnte klarer beweisen, dass er, gekrümmt unter Capris Sonne und der Geliebten süßen Last, an nichts anderes denkt als die Heimat und ihre Wähler?

Karl-Heinz Grasser hat daher nicht nur Recht auf ein Privatleben, wie er das nun einfordern zu müssen glaubt, er hat die patriotische Pflicht, die wirtschaftspolitische Botschaft dieser Regierung weit über Capri hinaus zu verkörpern, so wie er das am besten vermag. Und wenn Matznetter noch so oft fordert, er möge weniger jetten und mehr arbeiten - nur das nicht! (Günter Traxler, DER STANDARD - Printausgabe, 13. Mai 2005)