Budapest - Rund 116.000 ungarische Schüler haben am Mittwoch vor ihrer Maturaprüfung in Geschichte ausschlafen dürfen, denn das schriftliche Examen begann zwei Stunden später als geplant. Grund war ein Skandal, der dieser Tage Ungarns Gesellschaft und Politik erschüttert. Prüfungsfragen in den Fächern Geschichte, Mathematik und "ungarische Literatur und Grammatik" waren kurz vor den Examina im Internet erschienen.

Im Fach Geschichte rettete das Unterrichtsministerium die Situation im letzten Moment, indem es eilig neue Fragen formulierte. Die Prüfungszettel wurden unter Polizeischutz 261 versammelten Schuldirektoren übergeben. Die Prüfungsergebnisse in Mathematik wurden am Mittwoch annulliert, ob die Prüfungen in Literatur wiederholt werden müssen, wollen die Behörden in den nächsten Tagen entscheiden.

"Terroristisch"

Die Empörung ist groß. Un^ter^richts^mi^ni^ster Bálint Ma^gyar sprach von einem "terroristischen Angriff", der nur politische Motive gehabt haben und ihn "seinen Kopf kosten" könne. Der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyur^csány meinte dazu, erst müsse dafür gesorgt werden, dass die Matura ordnungsgemäß abläuft, und dass die Schuldigen gefunden werden; erst danach könne man anfangen zu "po^li^ti^sie^ren".

Bekennerschreiben

Die Boulevardzeitung Blikk berichtete von einem anonymen Bekennerschreiben im Internet, in dem Magyar direkt angegriffen und die Tat unter anderem mit der schwachen Bezahlung der Lehrer begründet wird. Den Fall soll nun das Nationale Ermittlungsbüro Ungarns klären, dem Täter drohen drei Jahre Gefängnis wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses.

Ungarische Medien warfen bereits die Frage auf, ob der Skandal zu einem Handel zwischen den regierenden Koalitionsparteien MSZP (Sozialisten) und SZDSZ (Liberale) führen könne. Dabei geht es um die Nominierung eines gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Staatsoberhaupts, das im Juni gewählt werden soll.

Der mögliche Kompromiss: Die Sozialisten lassen den liberalen Unterrichtsminister Magyar trotz des Maturaskandals im Amt, dafür akzeptieren die Liberalen die bisher von ihnen abgelehnte Parlamentspräsidentin Katalin Szili als Staatschefin. (Kathrin Lauer aus Budapest, DER STANDARD Printausgabe 12.5.2005)