Wien - Nicht nur Weltpolitik und strategische Überlegungen haben Einfluss auf den österreichischen Staatsvertrag gehabt: Ein Grund für die Sowjetunion, dem Abkommen zuzustimmen, war auch die Sorge von Verteidigungsminister Marschall Nikolai Bulganin wegen des Einflusses des Kapitalismus auf die in Österreich stationierten Sowjetbürger, berichtete der russische Historiker Aleksej M. Filitov bei einer wissenschaftlichen Konferenz zum Staatsvertrag in Wien.

Die international besetzte Konferenz ist der Beitrag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Staatsvertragsjubiläum. Entstehung und Wirkung des Staatsvertrags in Ost und West standen bis Dienstag Abend genauso auf dem Programm wie der Vergleich mit anderen europäischen Ländern und der Komplex von Entschädigung und Restitution.

Chruschtschows Rolle bescheiden

In einer Pressekonferenz am Dienstag versuchte Filitov, die "Chruschtschow-Legende" zurecht zu rücken. Nikita Chruschtschow habe praktisch keine Rolle für den Staatsvertrag gespielt, er habe freilich - im Gegensatz zu Stalin - auch nichts gegen ein Abkommen mit Österreich gehabt. Als treibende Kräfte auf sowjetischer Seite nannte der Historiker einerseits Bulganins Angst vor dem Einfluss des Kapitalismus. Konkret sei Korruption genauso ein Problem gewesen wie antisowjetische Propaganda. Vergleichbar sei die damalige Situation etwa mit jener der russischen Truppen im wiedervereinigten Deutschland Anfang der neunziger Jahre.

Wichtig gewesen sei auch der stellvertretende Premier Anastas Mikojan. Dieser habe als Pragmatiker die Besatzung in Österreich als Ballast für die österreichischen Interessen gesehen.

US-Überlegungen

Eine andere Klarstellung kam von Günter Bischof, der in New Orleans "Austrian Studies" betreibt: "Nicht nur die Sowjets waren die bösen Buben, die den Staatsvertrag aufgehalten haben." Auch die USA hätten längere Zeit kein Interesse an einem raschen Abschluss gehabt, weil sie zuerst Sicherheitskräfte - den Bundesheer-Vorläufer B-Gendarmerie - aufbauen wollten.

Nach außen hätten die USA freilich versucht, sich als treibende Kräfte darzustellen: 1952 etwa habe man in Moskau den "Kurzvertrag" präsentiert, der den wesentlich längeren Entwurf aus 1949 hätte ersetzen sollen, von den Sowjets aber nicht akzeptiert wurde. Der österreichischen Bevölkerung sollte Hoffnung gemacht werden, so Bischof: "Es ging darum, im Kalten Krieg die andere Seite möglichst schlecht aussehen zu lassen."

Teilung abgelehnt

Den Sowjets sei zudem auch nicht daran gelegen gewesen, auf Dauer in Österreich zu bleiben, ergänzte der Wiener Historiker und Mit-Organisator der Konferenz, Wolfgang Mueller. Er betonte zudem, dass die Sowjetunion schon Ende der vierziger Jahre eine Teilung Österreichs klar abgelehnt hatte. Zum einen habe man den von der roten Armee besetzten Teil des Landes wohl als nicht lebensfähig gesehen. Zum anderen wäre der strategisch wesentlich interessantere Westteil des Landes dann unweigerlich dem westlichen Block zugefallen.

Das Nein zu einer West-Integration sei auch der Grund für das Beharren der Sowjets auf die Neutralität gewesen. Diese habe nicht nur den Anschluss Österreichs an Deutschland, sondern auch an die Nato verhindern sollen.

Den Umgang mit der Neutralität gelernt haben die österreichischen Politiker dann erst in den Jahren nach 1955. Beigetragen dazu haben auch die Westmächte, so der Innsbrucker Historiker Michael Gehler. Wichtig gewesen sei dabei vor allem die bereits in den sechziger Jahren betriebene Annäherung an die EWG. Die Österreicher hätten in dieser Phase erst lernen müssen, was Neutralität bedeute. (APA)