Bild nicht mehr verfügbar.

Im Jugendamt will man nun verstärkt Straßenkinder ausfindig machen: "Wir wollen ihnen zumindest signalisieren, dass sie uns nicht egal sind", meint der zuständige Drogenbeauftragte der MA 11, Wolfgang Bäcker

Foto: AP/ NADYR SYKMENOV
Wien – Berlin, 1975: Die 13- jährige Christiane lebt in der trostlosen Hochhaussiedlung Gropiusstadt. In der Discothek „Sound“ nimmt sie ihren ersten Trip, es folgt ein Albtraum aus Drogen, Gewalt und Prostitution.

Die Erlebnisse von Christiane F. sind weltbekannt, 1981 wurde „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Ulrich Edel verfilmt. Und hat an Aktualität nichts verloren, wie der Fall eines 12-jährigen Buben aus Wien, der zuletzt von einer acht Jahre älteren Abhängigen Heroin verabreicht bekommen hat, beweist.

Ausnahme

„Derart junge Suchtgiftkonsumenten sind aber extreme Ausnahmen“, betont Gerhard Schinnerl vom Verein Wiener Sozialprojekte, der unter anderem die sozialmedizinische Drogenberatung „Ganslwirt“ betreibt. Dem Jugendamt sind in Wien derzeit vier Jugendliche bekannt, die bereits massive Drogenerfahrungen hinter sich hatten, bevor sie ihren 14. Geburtstag feierten. Festhalten darf man die Unmündigen nicht, die Krisenzentren haben zudem wenig Ressourcen für langfristige Maßnahmen. Manche fänden bei wohl meinenden Familien Unterschlupf, sagt der zuständige Drogenbeauftragte der MA 11, Wolfgang Bäcker.

Andere müssten für einen Schlafplatz Gegenleistungen erbringen: Prostitution oder Tätigkeiten als strafunmündige Dealer. Im Jugendamt will man nun verstärkt Straßenkinder ausfindig machen: „Wir wollen ihnen zumindest signalisieren, dass sie uns nicht egal sind“, meint Bäcker. Vertrauen gewinnen ist auch immer der erste Schritt der Streetworker. Ihre Klienten in der offenen Szene haben ein Durchschnittsalter von 28 Jahren. 12 Prozent der Betreuten sind jünger als 19.

"Sich nicht mehr spüren"

„Konsumiert wird alles, was verfügbar ist. Sie wollen sich einfach nicht mehr spüren“, so Schinnerl. Scheidung der Eltern oder unbewältigte Todesfälle können ebenso den Griff zu Alkohol und illegalen Drogen auslösen wie Leistungsdruck. Fast immer gibt es längere Vorgeschichten. Auch der Zwölfjährige, der im Jänner aufgegriffen wurde, war dem Jugendamt bereits bekannt: Er war mehrmals in Krisenzentren und in psychiatrischer Behandlung.

„Mittlerweile scheint es zu klappen“, glaubt Bäcker. Der Bub befinde sich in einer längerfristigen Therapie. Der Fall wurde erst Montag publik, nachdem die Polizei über die 20-jährige Heroinlieferantin einen 19-jährigen Wiener als Dealer ausfindig gemacht hatte. Die junge Frau wurde inzwischen wegen Diebstählen bedingt verurteilt. Außerdem muss sie sich einer Therapie unterziehen. Ein Prozess wegen der Heroin-Weitergabe sowie fahrlässiger Körperverletzung wird folgen. (Michael Simoner, DER STANDARD Printausgabe, 11.05.2005)