John Congleton von The Paper Chase trifft seine Dämonen.

Foto: STANDARD/Christian Fischer
Wien - John Congleton hat ein Problem. Es heißt schlicht und einfach John Congleton. Der ist Mitte 20. Und er zerrt und wütet hier im Wiener Chelsea wegen in seiner künstlerischen Biografie ausgiebig dokumentierter Panikattacken angesichts einer Welt, die schnell einmal zu viel wird, nicht nur an einer weißen Stromgitarre, bis diese jault.

Während knapp bemessener Pausen, die nicht dem großen Raufen in den Haaren oder ums Leben wegen existenziell bedingter Grundbedrohungen geschuldet sind, geht es hier hochpräzise dem Amok verpflichtet mit The Paper Chase um Hysteriestudien. Im Nirgendwo zwischen US-Hardcore, im Todeskampf gesungenen Matrosen-Shantys und komplexem Progressive Rock der frühen 70er-Jahre. Van Der Graaf Generator!

Der offensichtlich über eineinhalb Stunden beständig auf der Kippe zum Hyperventilieren seine Pein mit erstickter und sich überschlagender Kopfstimme in den Saal schreiende Texaner findet mit trotz seiner Jugend etwas über Gebühr beanspruchter Leidensmiene immerhin noch so viel Kraft, den inneren Georg Trakl ein wenig abzuschütteln. Es baut sich eine ganz eigene, immergrüne Kraft auf, die eines dokumentiert: Sehnsucht nach Erlösung.

Sie funktioniert ganz im Sinne des herbstzeitvollen und schließlich von der eigenen Ergriffenheit kokaintot betörten salzburgischen Erfinders so lange, als in dieser Welt nichts mehr geht: "Schlaf und Tod, die düstern Adler/ Umrauschen nachtlang dieses Haupt:/ Des Menschen goldnes Bildnis/ Verschlänge die eisige Woge/ Der Ewigkeit." Congleton ergänzt, den eigenen Untergang frenetisch tanzend: "Heaven is for climate, hell is for conversation!"

Und weil das so ist, erleben wir an diesem Abend ein selten gehörtes Wunder. Immerhin gilt spätestens seit der stilprägenden Katastrophen- und Todessehnsucht der zweiten wesentlichen Stütze im Leben John Congletons, der britischen Gruftie-Grundelväter Joy Division aus den frühhochneuwelligen Zeiten der angloamerikanischen Musik der ausgehenden 70er-Jahre, dass nur versagt, wer eines nicht vermag:

"I laid my black heart on the table/ It just may make itself at home/ Cut short the cord length on the phone/ Your smoke alarms and barred windows/ Can't save your house, God burn your soul!" Die Hölle, das sind in dieser Welt ohne Ausgang hin zur sonnigen Seite nicht die anderen. Was John Congleton auch live, beinahe ebenso zum Letzten verpflichtet wie auf Alben wie God Bless Your Black Heart oder Young Bodies Heal Quickly, You Know, verhandelt, das ist: Die Hölle, das sind wir!

Gemeinsam mit einer für diese harten Inhalte entsprechend manisch hochgefahrenen Musik, die neben Gitarre, Bass und Schlagzeug live auch noch Geisterbahn-Keyboards und Cello bietet, geht es mitten ins dunkle Herz amerikanischer Teenage-Dramen und -Traumata. Mit Zahnspange taumeln wir nach Scheidung der Eltern, Schulterror, allgemeiner pubertärer Entfremdung und billigen Klebstoffdrogen direkt ins Purgatorium zu Lebzeiten. Der Tod? Eine Erlösung! "What ever you do, don't go here!"

Man kann dieses ganze ichbezogene Gewese schnell einmal als altersbedingten Tick abtun, der hoffentlich überlebt werden will. In dieser Form aber, mit all diesem heiligen Ernst und Zorn, vermag er doch gehörig unter die Haut zu gehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.05.2005)