Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war gestern. Der soignierte Geschäftsmann, der da mit uns zur U-Bahn ging, war entsetzt. Er sei, sagte er, schließlich jetzt hier. Was nutze es da, wenn wir ihm - quasi namens der Stadt – versicherten, dass alles irgendwann besser werden würde? Er, sagte der soignierte Geschäftsmann, könne auch nicht elegante Visitenkarten verteilen, an deren Rückseite Popel klebe – und sich entschuldigen, dass die nächste Charge bald gedruckt werde.

Wir hatten den Trolleyfahrer im Flieger kennen gelernt. Irgendwie waren wir ins Gespräch gekommen. Und als wir ihn davor bewahrt hatten, vor der Ankunftshalle, in die Schwechater-Taxi-Falle zu tappen, saßen wir zusammen im Cat. Der Businessmann war irritiert. Über den Provinzialismus einer doppelten Taxigebühr wegen einer Landesgrenze zwischen dem City-Flughafen und der Stadt. Aber der Zug in die City gefiel ihm. Schnell, sauber und komfortabel, schwärmte er, sei mehr, als er aus anderen Städten gewohnt sei. Und daher mehr, als er zu erwarten gelernt habe.

Locationscout

Es sei, erzählte er uns, das erste Mal dass er nach Wien käme. Er sei ein bisserl auf einer Scout-Mission: Sein Unternehmen (ein globaler Konzern) suche nach einer Niederlassung. Mit Blick nach Südosteuropa. Eine Stadt mit guter Infrastruktur und Verkehrslage. Mit Sicherheit. Plus Lebensqualität. Das übliche halt. Sein erster Wien-Eindruck – der Trolleymann lehnte sich zurück, sah aus dem Zugsfenster und hatte die Taxis vergessen – sei bisher positiv. Und der erste Eindruck mache viel aus.

16 Minuten später waren wir in Wien. Der Geschäftsmann wollte kein Taxi zum Hotel. Er wolle die Stadt spüren, solange sie für ihn frisch sei, sagte er und begleitete uns zur U-Bahn: Die Cat-Empfangshalle entlockte ihm ein lächelndes „fein“ ­ aber als sich die automatische Tür zum Bahnhof Wien Mitte öffnete, schlief ihm das Gesicht ein: Ob das unser Ernst sei, fragte er , als sich der Gang zur großen Kassenhalle offenbarte.

Ausgespien

Er erwarte sich, sagte der Scout aus dem Vorstand, von einem Bahnhof wahrlich nicht die Empfangshalle eines Fünfsternehotels. Aber aus einem eleganten Shuttle in einen dreckigen und zugigen Schlund ausgespien zu werden, sei schon sehr heftig. Und, betonte er, es gehe ihm da echt nicht um die paar Obdachlosen und Verlorenen an den Tresen der Imbissstände – sondern um das Ambiente und das Flair jenes Ortes, den ich da gerade „Klein Bukarest“ genannt hätte: Das, belehrte er uns, sei schließlich sein erster authentischer Wien-Einruck. Und er würde jetzt am liebsten wieder heim fahren.

Er könne sich, sagte der Trolleymann, überdies nicht vorstellen, dass Bukarest Gäste so empfange: Städte wie Bukarest, erklärte er als er kopfschüttelnd an nach altem Fett riechenden Würstelständen, aus Ecken in den Weg rinnenden Urinrinnsalen und versyphten Absturzkneipen vorbei ging, wollten schließlich nach oben. Den Stadtgewaltigen dort sei nicht egal, wie das Stadtbild auf Ankömmlinge wirke.

Wurschtigkeit

Dass wir entschuldigend erklärten, dass hier in ein paar Jahren doch alles neu sein werde, meinte der Besucher, sei wenig hilfreich. Im Gegenteil: Um den Dreck, sagte der Scout, gehe es erst in zweiter Linie. Den gebe es überall. Es gehe um das, was das Öffnen der Cat-Hallentüre ihm für eine Geschichte erzähle: Einen neuen, schicken Zug in die Stadt zu bauen, der dann in einer Müllhalde ende, zeuge im besten Fall von Konzeptlosigkeit und Unkoordiniertheit. Im schlimmsten von Inkompetenz, Arroganz und Wurschtigkeit gegenüber klimatischen und atmosphärischen Kleinigkeiten. Und das sei, worauf er wirklich achte. Weil solche Nebensächlichkeiten mehr über eine Stadt aussagen, als Hochglanzfolder und teure Stadtmarketingkampagnen: Schicke Büros und gute Restaurants gäbe es nämlich wirklich längst überall auf der Welt. Ein „Klein Bukarest“ habe man ihm aber zur Begrüßung noch nie an den Kopf geworfen.