Nur ganz leicht überspitzt formuliert: die Geschichte des Fortschreitens der europäischen Integration war immer so, dass die Eliten die großen Schritte unter sich angedacht, unter sich ausgehandelt und unter sich umgesetzt haben, ohne groß das Volk zu fragen. So war es mit dem Binnenmarkt, so war es mit diversen heiklen Erweiterungen, so war es mit dem Euro, so war es mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und so ist es jetzt mit der Türkei und der Verfassung (in einigen Ländern gab es natürlich Referenden zu einigen Themen, aber das war nicht die Regel). Man nennt so etwas staatsmännische Führung.

Man kann es auch Kabinettspolitik und (auf gut Populistisch) "Volkshintergehung" nennen. Das ändert nichts daran, dass der europäische Fortschritt mit Referenden über alles und jedes äußerst mühsam gewesen wäre. Inzwischen fühlen sich die Europäer vom Tempo überfordert und meutern. Soll man deshalb in Österreich den Verfassungsvertrag einer Volksabstimmung unterziehen? Nein, weil der Verfassungsvertrag in eine Entwicklung passt, die seit zehn Jahren ausreichend bekannt ist und über die die Medien immer informierten. Hätte man mehr informieren können? Ja, aber das geht die Regierung etwas an.

(DER STANDARD, Printausgabe, 10.5.2005)