Wien - Der Wiener Verfassungsrechtler Heinz Mayer hält eine Volksabstimmung in Österreich über die EU-Verfassung ebenfalls für notwendig. Er teile die Ansicht des Verfassungsjuristen Theo Öhlinger, wonach ohne Volksabstimmung der Verfassungsgerichtshof die EU-Verfassung theoretisch aushebeln könnte. "Gute Gründe sprechen dafür".

Auf die Frage, ob mit dem EU-Beitritt Österreichs nicht schon längst geklärt worden sei, dass sich an dem Verfassungsgefüge etwas ändere, sagte Mayer im Gespräch mit der APA: "Damals hat man gesagt, mit der Volksabstimmung werden Grundprinzipien so weit geändert, als das dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts entspricht. Weitere Einschränkungen der Grundprinzipien bedürfen aber einer abermaligen Volksabstimmung". Mayer verwies dabei auf den "integrationsfesten Verfassungskern. Da hat man gesagt, es bleibt von den Grundprinzipien etwas über, was von der Volksabstimmung 1994 nicht berührt wird".

Mit dem Beitritt habe Österreich ja die Demokratie und den Rechtsstaat "nicht vollkommen preisgegeben, sondern eingeschränkt", wie das nach dem damaligen Stand des Gemeinschaftsrecht erforderlich war. "Und jetzt ist die Frage, hat die EU-Verfassung weitere Einbrüche zur Folge. Da haben die Argumente Öhlingers einiges für sich". Es stelle sich eben die Frage, die "immer schwer zu beurteilen ist, wie viel Demokratie darf ich aufgeben, zusätzlich, um den integrationsfesten Verfassungskern nicht zu berühren. Das ist eine Wertungsfrage", so Mayer.

"Volksabstimmung nachholen"

Der Verfassungsrechtler meinte, sollte der Verfassungsgerichtshof die Unanwendbarkeit der EU-Verfassung für Österreich feststellen, "dann müsste man die Volksabstimmung nachholen". Auf die Frage, was passiert, wenn dann beispielsweise eine Abstimmung negativ für die EU-Verfassung ausgeht, sagte Mayer: "Darüber will ich gar nicht nachdenken". Aber gleichzeitig schwächt Mayer das Szenario etwas ab und schließt sich Öhlingers Ansicht an, dass "der VfGH sich nicht hinauslehnen wird. Im Zweifel wird er das decken".

Am Mittwoch ratifiziert der Nationalrat die EU-Verfassung. Im Vorfeld hatte der Verfassungsausschuss des Nationalrats die EU-Verfassung schon einstimmig angenommen. Zuletzt kritisierte BZÖ-Obmann Jörg Haider Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V), weil die ÖVP eine Volksabstimmung in Österreich ausschließe. Für die Volkspartei komme nur eine europaweite Volksabstimmung in Frage. Da ÖVP, SPÖ und Grüne für die Ratifizierung der EU-Verfassung votieren, ist das Stimmverhalten der BZÖ sowie der FPÖ, die hier einer Meinung mit der freiheitlichen Abspalterpartei ist, nicht ausschlaggebend.

Auch für Raschauer ist Volksabstimmung nötig

Auch der Staatsrechtler Bernhard Raschauer hält eine Volksabstimmung in Österreich über die EU-Verfassung für nötig. Auf die Frage, ob mit dem EU-Beitritt und der vorangegangenen Volksabstimmung 1994 nicht schon klargemacht worden sei, dass EU-Recht über nationalem Recht stehe, sagte Raschauer gegenüber der APA: "Das ist nicht geschriebenes Recht." Mit der EU-Verfassung werde erstmals ein vorbehaltloser Vorrang für das EU-Recht proklamiert und deshalb sei eine Volksabstimmung darüber notwendig.

Der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger habe als Erster darauf hingewiesen, dass es einen Unterschied mache, ob der Europäische Gerichtshof irgend eine Judikatur entwickle, "oder ob das als harter Text im europäischen Verfassungsvertrag steht und Vorrang vor allem nationalen Recht hat. In dem Moment ändert sich schon auch die Rechtslage, dass das auch eine Gesamtänderung ist", so Raschauer. Denn bisher sei es ja auch nach dem EU-Beitritt Österreichs so gewesen, dass damit "nicht ein Vorrang gegenüber den österreichischen Grundprinzipien der Verfassung gegeben" war. Jetzt werde dieser Vorrang des EU-Rechts aber "schwarz auf weiß bindend".

Jedenfalls glaubt Raschauer, dass es "schon irgendjemand auf jeden Fall einfallen wird, das anzufechten. Das hat es schon 1994 gegeben. Es landet sicher beim Verfassungsgerichtshof." Und was passiert, sollte der VfGH tatsächlich entscheiden, dass eine Volksabstimmung notwendig ist? - Raschauer: "Das Erkenntnis des VfGH kommt auf jeden Fall zu spät. Denn bis dorthin hat der Bundespräsident die Ratifikationsurkunde abgegeben. Der VfGH könnte nachträglich feststellen, dass nachverhandelt werden muss. Darauf wird es auch hinauslaufen. Irgend ein Staat wird schon negativ votieren. Dann muss man sowieso nachverhandeln. Mehr ist es nicht." Also wäre das keine dramatische Situation? - Raschauer: "Eigentlich nicht". Wenn man aber bedenke, dass dann "beispielsweise die Polen, die ein starkes Nationalbewusstsein haben, auf einmal sagen, wir können jetzt nicht nur einen Satz streichen, wir müssen eigentlich die ganze Agrarförderung nochmals besprechen, in dem Moment bricht alles zusammen". Das heißt? - "Dann wird die EU-Verfassung völlig neu verhandelt". (APA)