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Wenn eine 67-Jährige Mutter wird, wenn eine sommersprossige Mitteleuropäerin ein dunkelhäutiges Kind zur Welt bringt, weil im Labor die Samen vertauscht worden sind, wenn Spermien von Nobelpreisträgern oder Eizellen von Topmodels Spitzenpreise erzielen, wird die moderne Fortpflanzungsmedizin jedes Mal schlagartig in ein schlechtes Licht gerückt. Einzelne Exzesse, Pannen und der ewige Streit um die Eugenik verstellen den Blick auf die alltäglichen Probleme der künstlichen Fortpflanzung.

Skeptisch bis ablehnend begegnet ihr, wer nicht selbst unfreiwillig kinderlos ist oder im Familien- oder Freundeskreis Betroffene kennt. Dabei müsste das größtmögliche Verständnis herrschen in einer Gesellschaft, der die Kinder ausgehen, weil später geheiratet wird, die Mütter älter werden (mittlerweile ist eine Frau im Durchschnitt 30 Jahre bei der ersten Geburt) und immer mehr Frauen so lange mit dem Nachwuchs warten, bis sie beruflich und partnerschaftlich alles geregelt haben, aber auf natürlichem Wege nichts mehr geht.

22 Jahre nach der Zeugung des ersten österreichischen Retortenbabys lässt vor allem der Kenntnisstand zu wünschen übrig. So weiß niemand, wie viele im Reagenzglas gezeugte Kinder hier zu Lande jährlich zur Welt kommen. Es könnten 1800 sein. Oder auch ein paar Hundert mehr oder weniger. Akribisch erfasst werden indes die durchgeführten In-vitro-Fertilisationen und bei wie vielen der eingesetzten Embryonen nach vier Wochen Herzschlag nachweisbar ist. Und das auch nur bei jenen Behandlungen, an deren Kosten sich der IVF-Fonds beteiligt. 2003 wurden 1337 im Labor herbeigeführte Schwangerschaften registriert. Davon erwarteten 321 Frauen Zwillinge, 29 Drillinge und drei Frauen sogar Vierlinge. Machte also 1725 lebende Embryonen in der fünften Schwangerschaftswoche.

Alles Weitere ist Hochrechnung: Etwa jeder sechste Embryo dürfte durch Fehlgeburt oder Abtreibung, wenn Ultraschall oder Fruchtwasser eine Behinderung erwarten ließen, verloren gegangen sein. Positiv schlagen dafür noch Geburten jener Paare zu Buche, deren künstliche Befruchtung der Fonds nicht bezahlt hat, weil die Frau schon über 40 oder der Mann über 50 war, weil das Paar keine der vom Fonds akzeptierten Sterilitätsindikation vorweisen konnte, oder weil es die vom Fonds gesetzte Höchstzahl von vier Behandlungen bereits ausgeschöpft hatte. Außerdem die Sprösslinge jener Paare, die in eine spanische oder tschechische Klinik gereist sind, weil sie sich allein noch mithilfe einer in Österreich verbotenen Eizellenspende eigenen Nachwuchs versprachen.

Auch die international so bezeichnete "baby take home rate" kennt niemand, also wie viele Österreicher, die sich für ein Retortenbaby entscheiden, jemals ihr Wunschkind bekommen. Immerhin ist der Trend positiv: Im ersten statistisch erfassten Jahr 2000 hatten nur etwas mehr als 23 Prozent der vom IVF-Fonds mitfinanzierten Behandlungen zu einer Schwangerschaft geführt. 2003 wurden 29,5 Prozent der behandelten Frauen schwanger, im Vorjahr waren es nach vorläufigen Zahlen des Gesundheitsministeriums 30 Prozent.

Dreißig Prozent Erfolgsrate pro Behandlung mal vier Behandlungen macht 120 Prozent Wahrscheinlichkeit auf Nachwuchs, rechnen viele Paare fälschlicherweise und können sich kaum vorstellen, dass es beim Babylotto auch Verlierer gibt.

Noch vor wenigen Jahren galt, dass jedes zweite Paar leer ausgeht. Inzwischen, so schätzt Wilfried Feichtinger, der 1984 Österreichs erste Kinderwunschklinik gegründet hat, dürfen mindestens sechzig Prozent damit rechnen, Eltern zu werden. Das ist auch die Zahl, die Feichtinger seinen angehenden Patientinnen nennt.

Tatsächlich schwanken die Aussichten von Frau zu Frau beträchtlich. Je älter, desto schlechter. Mit jeder Einpflanzung, die nicht zu einer Schwangerschaft geführt hat, sinken die Chancen. So müsste vor der Entscheidung für oder gegen eine Behandlung stets ein unverblümtes Risikoprofil ermittelt werden. Doch eine ehrliche Aufklärung ist von den schließlich an der Behandlung verdienenden Ärzten schwerlich zu erwarten. Zumal sich ein Paar, das in die Klinik kommt, in aller Regel bereits entschieden hat.

Ansätze zu einer unabhängigen Beratung finden sich allenfalls in den Frauengesundheitszentren. Dort werden Ratsuchende aufgefordert, ihren Kinderwunsch zu hinterfragen und sich schon einmal im Vorfeld zu überlegen, wie sie damit umgehen, wenn sie trotz aller Bemühungen und Behandlungen ohne Baby dastehen. Nach dem Abbruch erfolgloser Prozeduren entwickeln nämlich die meisten Frauen und auch viele ihrer männlichen Partner zumindest leichte Formen der Depression.

Eher sind von Ärzten Warnungen vor einer anderen ungeplanten Behandlungsfolge zu hören, nämlich dass eine künstliche Befruchtung die Chance auf eine Mehrlingsgeburt vervielfacht. Um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen, werden fast immer zwei oder drei Embryonen eingesetzt mit der Folge, dass zwei von fünf in vitro gezeugten Kinder Mehrlinge sind. Viele Paare halten Zwillinge oder Drillinge für einen Glücksfall, bis ihnen vor Augen geführt wird, dass später doppelt und dreimal so viel Betreuungsarbeit wartet, vor allem aber die in der Regel zu früh und viel zu leicht zur Welt kommenden Kinder gefährdet sind. Mehrlingsgeburten sind das weitaus schwerste Gesundheitsrisiko der künstlichen Befruchtung. Ansonsten erklärt sich die relativ erhöhte Wahrscheinlichkeit auf Krankheit oder Behinderung durch das höhere Durchschnittsalter der Mütter und liegt nicht signifikant über dem anderer Spätgebärender.

Lieber bringen die Ärzte in der Beratung andere Faktoren zur Sprache wie etwa die Qualität und Methode der Behandlung: Privatkliniken können in Österreich dank ihrer Spezialisierung etwas höhere Erfolgsraten vorweisen als öffentliche Spitäler. Führte eine herkömmliche In-vitro-Fertilisation, bei der Eizelle und Sperma in einer Petrischale vermengt werden, 2003 in 28 Prozent der Fälle zu einer Schwangerschaft, lag die Quote nach Einspritzen eines ausgewählten Samenfadens in die Eizelle, der so genannten Intra-Cytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI, sprich: Ixi), bei 30,5 Prozent. Die Erfolgsquote stieg deutlich, nämlich auf 39 Prozent, wenn die in der Reagenz gezeugten Embryonen beobachtet wurden, bis sie nach vier oder fünf Tagen im Blastozystenstadium sind, um dann den oder die beiden mit den besten Eigenschaften in die Gebärmutter einzusetzen. Das Verbot des Blastozystentransfers in Deutschland ist der Grund, warum viele deutsche Paare ihr Elternglück in Bregenz oder Salzburg suchen - und das noch dazu auf Krankenschein.

Anders als beim großen Nachbarn gilt Unfruchtbarkeit hier zu Lande nicht als Krankheit. Um dennoch denen zu helfen, die sich wegen verschlossener Eileiter oder aus Spermienmangel ihren Kinderwunsch nicht erfüllen können, ist zum Jahr 2000 der IVF-Fonds ins Leben gerufen worden. Annähernd elf Millionen Euro bringen Krankenkassen und Staat jährlich dafür auf. Maximal vier Behandlungen samt der nötigen Medikamente werden zu 70 Prozent vom Fonds übernommen. Mit durchschnittlich 965 Euro werden jedes Mal die Behandelten zur Kasse gebeten, 2250 Euro pro Behandlungszyklus übernimmt der Fonds.

Könnte man die Geförderten da nicht umgekehrt dazu verpflichten, ihre Geburten und etwaigen Komplikationen während der Schwangerschaft zurückzumelden? Dann gäbe es endlich Zahlen, die nämlich nicht nur die Ärzte interessieren, sondern auch Möchtegerneltern, die vor der Entscheidung für oder gegen die mit hohen Kosten, psychischen Belastungen und allerlei Hormongaben verbundene Behandlung stehen.

Man habe lange über eine Meldepflicht nachgedacht, so Gerhard Aigner vom Gesundheitsministerium, aber letztlich von obrigkeitsstaatlichem Zwang abgesehen. Zumal nicht einmal das rigide deutsche IVF-Register alle nötigen Daten hat, um zuverlässig die "baby take home rates" auszuweisen. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8. 5. 2005)