Hans Schöler schockierte Reproduktionsmediziner, Stammzellforscher und Bioethiker, als ihm vor genau zwei Jahren an der US-Universität von Pennsylvania erstmals die erfolgreiche Züchtung reifer Eizellen aus embryonalen Stammzellen der Maus gelang. Der deutsche Forscher, von Medien in Folge "Herr der Eizellen" genannt, riss damit eine der wichtigsten Grenzen der Biologie ein. Bis dahin nämlich war man davon ausgegangen, dass Keimzellen nur in Lebewesen heranreifen können. Ihre Züchtung im Labor markiert eine tiefe Zäsur, denn Lebewesen scheinen nun in ungeahntem Maß technisch machbar: Wer Eizellen herstellen kann, arbeitet an der Quelle des Lebens.

Inzwischen versucht Hans Schöler am Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster den Keimzellen ihre letzten Geheimnisse zu entlocken. Auch japanische und US-Forscher haben reife Samenzellen im Labor hergestellt, ebenfalls aus embryonalen Stammzellen der Maus. Was für die Zukunft der Reproduktionsmedizin bisher ungeahnte Türen öffnet: Aus Stammzellen, egal ob männliche oder weibliche, können beide für die Fortpflanzung nötigen Keimzellen gezüchtet werden.

STANDARD: Fällt damit das Dogma, dass es für die menschliche Reproduktion Frau und Mann braucht?

Schöler: Nein, so weit sind wir noch nicht. Weder die so hergestellten Eizellen noch die Samenzellen waren für die Fortpflanzung der Mäuse einsetzbar. Beim Menschen ist das noch komplizierter. Hier ist man erst so weit gekommen, menschliche embryonale Stammzellen in ganz frühe Entwicklungsstadien von Keimzellen zu überführen. Die so hergestellten Eizellen waren aber noch nicht reif für eine Befruchtung.

STANDARD:Das kann aber nur eine Frage der Zeit sein, oder?

Schöler: Natürlich. Aber selbst dann, wenn wir einmal reife menschliche Eizellen und Spermien aus embryonalen Stammzellen herstellen können, bleibt das große Problem mit der Erbsubstanz. Unsere DNA altert nämlich mit uns. Wenn sie beispielsweise aus dem Erbgut einer Muskelzelle über Kerntransfer embryonale Stammzellen herstellen und diese dann in Eizellen oder Spermien weiterführen, dann haben diese alte DNA. Und wie bei allen ausdifferenzierten Zellen werden bei Muskelzellen nur jene Gene bei der Zellteilung ständig repariert und funktionstüchtig gehalten, die für die Aufgabe der Zelle notwendig sind. Die andern sind quasi abgeschaltet, dort sammeln sich im Lauf der Zeit auch Mutationen an. Wenn Sie eine solche DNA in embryonalen Stammzellen also in ihre ursprüngliche Potenz zurückführen, schalten Sie auch alle diese mutierten Gene wieder ein. Was dabei herauskommt, ist die große Frage.

STANDARD: Und was ist mit dem Klonen? Ist das eine mögliche zukünftige Alternative zur natürlichen Befruchtung und In-vitro-Fertilisation?

Schöler: Kann ich mir nicht vorstellen. Beim Klonen haben Sie neben der überalterten DNA noch ein Problem: Während der Reifung von Keimzellen wird nämlich deren Erbsubstanz vom Organismus permanent auf Mutationen und Fehler geprüft. Und alle Eizellen und Spermien, die für die Reproduktion untauglich sind, werden in der Regel in die Apoptose, also den Zellsuizid getrieben, somit vernichtet. Das ist einer der größten Selektionsprozesse der Natur. Beim Klonen aber umgehen Sie diesen Selektionsvorgang, weil Sie ja keine Keimzellen verschmelzen, sondern eine bereits alte Erbsubstanz in eine entkernte Zelle einsetzen, die sich dann weiterentwickelt. Was dabei herauskommt, sehen Sie ja bei etlichen inzwischen geklonten Tieren. Ermutigend für eine eventuelle Reproduktion des Menschen mittels Klonierung sind all diese Ergebnisse jedenfalls nicht.

STANDARD: Heißt das, die Zukunft der humanen Reproduktionsmedizin bleibt auf absehbare Zeit lediglich auf die Verbesserung von bisher schon recht erfolgreich eingesetzten Techniken beschränkt? Schöler: Das muss nicht sein. Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, die genannten Probleme bei der Herstellung von Keimzellen aus Stammzellen in den Griff zu bekommen. Nicht dass Sie jetzt glauben, ich denke dabei an die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus Embryonen. Abseits ethischer Überlegungen wäre es ja völlig unsinnig, einen bereits laufenden Reproduktionsprozess zu zerstören, um aus den so gewonnenen Einzelprodukten eine künstliche Fortpflanzung in Gang bringen zu wollen. Ich spreche von Stammzellen, die zumindest ein ähnliches Potenzial haben wie embryonale, ohne dass ich sie erst über eine alte DNA generieren muss: Stammzellen aus der Nabelschnur von Neugeborenen. Sollte es gelingen, aus diesen männliche und weibliche Keimzellen zu züchten, könnte man vielleicht bisherige genetische Probleme umgehen. Welche epigenetischen Probleme dabei auftreten, weiß man natürlich nicht. Wenn man tatsächlich in diese Richtung will, wird man bald in Affenmodellen testen müssen, ob das Ganze auch funktioniert. Aber ich warne davor, kinderlosen Paaren, denen die heutige Reproduktionsmedizin nicht helfen kann, falsche Hoffnungen zu machen. Natürlich klingt es gut, dass ein Durchbruch in der Fortpflanzungsmedizin möglicherweise an der Nabelschnur hängt oder bald vielleicht die biologischen Eltern nicht mehr Mann und Frau, sondern nur noch Zelllinien sind. Aber das ist alles noch Theorie und Vision. Die entsprechende Grundlagenforschung hilft uns jedoch, die Mechanismen der Reproduktion besser zu verstehen, kinderlosen Paaren vielleicht mit gängigen Techniken noch effizienter zu helfen, vielleicht auch Therapien gegen bisher unheilbare Leiden zu entwickeln.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8. 5. 2005)