Foto: Donaufestival/Katharina Oberlick
Korneuburg - Wie freundlich ist die Marktwirtschaft? Sehr. Schließlich gilt es im Fall Chinas eine halbe Menschheit zu umwerben: "Guten Abend, ich bin die Marktwirtschaft, und ich hoffe, dass die Zukunft Chinas mir gehört." Als leibhafte Allegorie steht ihr Sprecher vor heruntergelassener Tapete und hofft zu Recht.

Das Näherrücken der Welt empfiehlt die Beschäftigung mit der Ferne. Was liegt da "näher" als das Reich der Mitte, der proklamierte Weltmarktmittelpunkt der Zukunft? Zumal für eine Performancegruppe, die sich mit den selbstbezüglichen Themen am Theater immer schon gelangweilt hat. Showcase Beat Le Mot, vier Männer des berühmten Gießener Theaterinstituts, sind bekannt für ein phänomenales Aktionstheater, dessen Lockmittel (essen, trinken, rauchen erlaubt) die konventionellen Theaterabmachungen durchbrechen.

Ihre in die Korneuburger Werft zum Donaufestival geladene Show alarm Hamburg Shanghai (hier: alarm Korneuburg Shanghai) geht aber noch darüber hinaus: Im Kern dieser sacht gespannten sinologischen Versatzstückzone pocht nämlich ein Brecht'sches Lehrstück! Nach schweißtreibenden kommunistischen Aufwärmrunden - Gleichschritt kombiniert mit Pekingoper-Gestik - stellen die vier Darsteller im maoistischen Blauzeug zwei vom Publikum streng zu prüfende Versionen einer Wirtschaftswundergeschichte (Maos "Großer Sprung nach vorn") zur Diskussion. Sie wird unterbrochen von "Informationsdarbietungen" fernöstlicher Kosmologie. Das größte Zugeständnis an die Bildhaftigkeit des Abends ist dabei der Tanz chinesischer Drachen.

Dann: Einer tritt als Erdbeben-Allegorie vor die nächste Tapetenbahn und gibt in berückend geriebenem Ton die globale Erdbebengeschichte mit genauen Opferzahlen durch. "Wirtschaft" und "Tradition" errechnen am Tafelbild die Opferbilanz nach dem "Großen Sprung nach vorn" (den ein dritter natürlich vollführt), und am nackten Rücken des "Mike Tyson" zieht jemand die Spur des "Langen Marschs" mit dem Zeigefinger nach. Die Performer rackern wie chinesische Bauern - und dabei denken sie wie Harald-Schmidt-Redakteure. Toll. (DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.05.2005)